Victor Krauthauf- Der Meister des Fälschens

Als Victor Krauthauf 1895 verhaftet wurde, war die Aufregung in Wien groß. Niemand hätte erwartet, dass Krauthauf, der als ebenso hochbegabt wie exzentrisch galt, zusammen mit seiner betagten Mutter, einen der erfolgreichsten Geldfälscherringe in der Geschichte Österreichs aufbauen würde. Hört/Lest hier den Werdegang eines kriminellen Genies, made in Austria.
Der Fälscher Victor Krauthauf vor dem Schwurgericht
Victor Krauthauf vor dem Schwurgericht  1896.

Als der Mann in dem dunklen Anzug zu zeichnen begann, versank der übervolle Gerichtssaal in ehrfürchtiger Stille. Die, die weiter vorne saßen, konnten hören, wie der Stift unermüdlich über das Papier schabte, um in feinen Linien mühelos zu erschaffen, was jedem normalen Menschen nicht nur unmöglich, sondern auch strengstens verboten war. In den hinteren Reihen verrenkte man sich die Hälse, in der Hoffnung, zumindest einen Blick auf jenen wundersam skurrilen Menschen werfen zu können, welcher der Welt vollkommen entrückt zu sein schien, und selbst noch im Gerichtssaal unbeschwert nach jenen Regeln lebte, wie eine Künstlerseele sie auferlegt.

„Sie können also eine 10 Kronen Note aus dem Gedächtnis zeichnen", hatte der vorsitzende Richter den Mann ungläubig gefragt. 
"Ja", antwortete dieser mit einem Achselzucken. 
“In allen Einzelheiten?”
“Aber ja. Kann ich.” 
Man hatte Papier und Stifte kommen lassen, den Angeklagten an einen kleinen, hölzernen Tisch gesetzt, und ihn hochoffiziell angewiesen, zwecks Beweisführung ein Verbrechen zu begehen.

Die Menge war elektrisiert.
Nur den minderwertigen Zeichenutensilien war es geschuldet, dass die, von Viktor Krauthauf in Windeseile erschaffene 10 Kronen Note, optisch nicht völlig dem entsprach, was man sonst in der Geldbörse mit sich trug. Die Details allerdings, die Schattierungen, die künstlerische Ausführung, ließen keinen Zweifel zu. Dieser Mann konnte sich sein Geld zeichnen, malen und - zum jahrzehntelangen Leidwesen der Wiener Banken - auch selbst drucken.

Schon seine Wohnung in der Lehnergasse 7 präsentierte sich den staunenden Untersuchungsbeamten als beeindruckende Mischkulanz aus Kunstatelier und Fälscherwerkstatt, mit einer Unzahl an Beweisen seines kriminellen Treibens. Krauthauf, der das kreative Chaos schätzte, lebte inmitten seiner Werke, die in allen Stadien der Entstehung vorlagen, und neben Banknoten auch Wertpapiere, Lose, Coupons und

Fälschungen von Victor Krauthauf
Fälschungen von Victor Krauthauf (Kriminalmuseum)

 ähnliches beinhalteten. Immer wieder begab er sich auf längere Reisen, nach Bayern, Ungarn, oder Rumänien, um gefälschte Wertpapiere zu verkaufen, und neue Inspirationen zu erhalten. Neben Siebenbürgischen Eisenbahn-obligationen tauchten so auch Pfandbriefe der österreich-ungarischen Bank auf, oder Obligationen der bayrischen Eisenbahn Gesellschaft. 1

Im Gegensatz zu anderen Verbrechern hatte Krauthauf allerdings gar nicht erst versucht, seine Unschuld durch Aussagen besonders kreativer Natur zu retten, oder der Staatsanwaltschaft das Leben durch Leugnen künstlich zu erschweren. Sich während seiner durchaus spektakulären Flucht das Leben zu nehmen - ja - das hatte er probiert, mit einem kleinen Fläschchen Zyankali, welches er immer bei sich trug. Aber nun, vor dem Richter, da betrachtete er es als Ehrensache, die Wahrheit zu sagen, und auf die Frage des Gerichts, ob er sich in allen Punkten der Anklage schuldig bekenne, antwortete er ohne zu zögern mit einem deutlichen “Ja”.
“Sie waren zunächst Beamter der oberösterreichischen Landesbank”, wollte der Richter wissen.
“Ja.”
“Wie lange waren Sie Bankbeamter?”
“Sechs Jahre.”
“Warum sind Sie weggegangen?”
“Ich bin nicht weggegangen, sondern entlassen worden. Weil ich eine zu geringe Vorbildung hatte.”
Der Richter allerdings zweifelt in diesem Punkt: “Das scheint mir nicht ganz richtig zu sein, im Gegenteil. Sie waren bei der Bank sehr gut angeschrieben, weil Sie besonders zu kalligraphischen Arbeiten sehr gut verwendbar waren.”
Tatsächlich hatte Viktor Krauthauf die Bank - und später auch Linz - wegen eines Sittlichkeitsdelikts verlassen müssen, das öffentlich großes Aufsehen erregt hatte und eine Vorstrafe nach sich zog. 
“Leiden Sie unter Zwangsvorstellungen”, wollte der Richter in diesem Zusammenhang wissen, und spielte damit auch auf jenes seltsame Verhalten an, welches der Angeklagte im Gerichtssaal zur Schau stellte.
“Jawohl, es sind drei Sachen, die auf mich diabolisch wirken: Schwungrad, Schürzen, und falsche Banknoten.”
An einem imaginären Schwungrad musste Krauthauf eigenen Aussagen zufolge von Zeit zu Zeit drehen, um die für ihn wahrnehmbare Welt im Gleichgewicht zu halten, wodurch die seltsamen Verrenkungen erklärbar wurden, welche der Mann ohne Vorwarnung vollführte. 2

Was im öffentlichen Teil der Verhandlung nicht zur Sprache kommen durfte, auch wenn der Angeklagte selbst darüber recht zwanglos Auskunft gab, war der Umstand, dass Krauthauf sich bereits in früheren Jahren stundenlang in den Wäldern rund um Linz herumgetrieben hatte, in Frauenkleidern, mit Puder im Gesicht. Immer wieder war es zu unliebsamen Vorfällen gekommen, Spaziergängern war der eigenwillige Mann schon mehrmals aufgefallen, am Pöstlingberg hatte sich Krauthauf mehrmals vor Frauen entblößt. Als in Lichtenberg bei Linz ein junges Mädchen ermordet aufgefunden worden war, fiel der Verdacht rasch auf ihn. Tatsächlich hatte sich Viktor Krauthauf an jenem Tag im Wald aufgehalten. Ein Zeuge wollte einen Mann mit Regenschirm gesehen haben, mit einem Schirm, der Viktors recht ähnlich sah. Nachgewiesen konnte dem stadtbekannten Eigenbrötler ein Zusammenhang allerdings nicht werden. 3

Von großer Bedeutung sollte Viktors Tagebuch bei dem Prozess werden, in dem er seine Neigungen und deren Auswirkungen detailgenau festhielt. Die Liebe zum Detail, seine schon ins Pedantische abgleitende Eigenschaft, alles, was ihm wichtig erschien,  festhalten zu wollen, erleichterte dem Staatsanwalt naturgemäß  die Arbeit.  
„Ich habe sie erobert“, hatte Viktor Krauthauf einmal in großen Lettern in sein Tagebuch geschrieben. Gemeint allerdings war keine Frau, sondern eine Kattunschürze, die er seiner Trägerin abkaufen hatte können. 
„Das Mädchen, welches diese Schürze trug, verfolgte Krauthauf auf Schritt und Tritt. Endlich sah er sie, wie sie in einen Bäckerladen ging. Atemlos stürzte er auf sie zu, fragte die Erstaunte, was die Schürze koste, gab ihr das Geld und zog dann die Schürze in seinem Hause an, um sie danach mit viel Förmlichkeit seiner Sammlung einzuverleiben.“ 
“In der Mariahilfer Straße”, so erzählte er vor Gericht, habe er auch einst ein Mädchen mit einer wunderbaren Schürze verfolgt, die er ihr unbedingt hatte abkaufen müssen. “Wenn nötig, auch für eine Million!” In diesem Fall allerdings flüchtete sich die verängstigte Schürzenträgerin zu einem gerade Patrouille gehenden Wachmann. 4

Es waren diese und ähnliche Eigenheiten, durch welche der Prozess um Krauthauf, der schon bald als Meisterfälscher einen Ehrenplatz in der medialen Landschaft bekam, nicht nur stetig an Popularität gewann, sondern sich endlos in die Länge ziehen sollte. Denn schon bald wurde die Frage aufgeworfen, ob der Angeklagte überhaupt zurechnungsfähig war, oder, wie der Verteidiger es ausdrückte, schlicht und einfach verrückt. Ein Gutachten musste erstellt werden.

“Warum haben Sie begonnen zu fälschen?”
“Das war so: zuerst habe ich einen sonderbaren Drang gehabt und lange daran studiert. Eines Tages habe ich den Traum gehabt, ich werde der reichste Mann der Erde werden. In meinem Zimmer flogen Millionen von Zehnern, Hundertern und Tausendern herum, und als ich erwachte, da griff ich ins Leere, ins Nichts. Die Idee verfolgte mich fort und fort.”
Krauthauf erzählte, dass er sich zunächst an Losen und Coupons versucht hatte, schon bald aber auf lukrativere Wertpapiere umgestiegen sei, und - seinem Traum entsprechend - stets eine veritable Menge an Banknoten um sich wissen wollte. 
“Wir kommen nun zu den Fünfer- und Zehnernoten”, fuhr der Richter fort. “Diese haben Sie auf lithographischem Wege hergestellt?”
“Ja.”
“Woher haben Sie das Papier dazu genommen?”
“Das war nicht schwer. Man bekommt es ja zu kaufen. In vielen Geschäften...”
Dass Viktor Krauthauf trotz seiner Unbedarftheit überhaupt aufgeflogen war, hatte er seiner Komplizin zu verdanken, die nicht nur für die Verteilung des Falschgeldes zuständig war, sondern auch den Haushalt führte, und überhaupt als einzige Konstante im höchst unsteten Dasein einer kriminellen Künstlerseele angesehen werden konnte. 
“Sie haben Ihrer Mutter also irgendwann gesagt, sie wollen fälschen”, wollte der Richter wissen.
“Ich hab ihr meinen Traum erzählt und gesagt, dass ich imstande wäre, solche Dinge zu fabrizieren.”
“Und da war die Mutter gleich einverstanden?”
“Ja, weil Geld war keines da.” 5

„Das Eigentümliche, das Erschreckende dieses Falls“, schrieb das Neuigkeits Welt Blatt in seiner Ausgabe vom 11. Juni 1896, „ist, dass es die eigene Mutter Krauthaufs war, die die verhängnisvolle Rolle spielte. Welcher Art diese Rolle war, ist nicht klar geworden. Man weiß nicht, war diese Frau sein böser Dämon, der ihn zu seinen Taten antrieb, oder war sie nur die blind liebende Mutter, die ihm unbedingt gehorchte? Die Weiber überhaupt waren jedenfalls von großem Einfluss auf das Leben des Verbrechers.“ 6

Tatsächlich sollte sich die Verbreitung falscher Banknoten durch eine alte Dame, der man nach getätigter Transaktion sogar noch den Einkaufskorb nach Hause trug, bestens bewähren. Oma Krauthauf konnte kein Wässerchen trüben, war überall beliebt, und gerne als Kundin gesehen. Vermutlich wäre auch der 19. Dezember des Jahres 1895 ereignislos vorübergegangen, hätte Emilie Schödl, die von Natur aus mit einem gewissen Misstrauen gesegnet war, in ihrer Greißlerei auf der Landstraßer Hauptstraße nicht etwas genauer hingesehen.

“Erst als die alte Frau in ihrem kleinen Korb herumzukramen begann, und nach langem Suchen das Geldtäschchen hervorbrachte, sah ich sie etwas genauer an. Mir fiel auf, dass sie nun auch in dem Geldtäschchen herumzusuchen begann, namentlich aber, dass sie unter den, in diesem Täschchen befindlichen Banknoten eine besonders zu suchen schien. Endlich legte sie diese gesuchte Banknote auf meine Kasse.”

Schödl, die den Zehner als falsch erachtete, rief die Polizei. Als man die alte Dame unter großem Interesse der Öffentlichkeit abführte, brach ein jüngerer Mann, der das Geschehen mit großer Nervosität verfolgt hatte, in Tränen aus. Der seltsame Zaungast benahm sich dermaßen verdächtig, dass die Beamten ihn ansprachen, worauf er die Flucht ergriff. Wenige Minuten später allerdings befand auch er sich in Gewahrsam.

Viktor Krauthauf, der es auf dem Gebiet der Kalligraphie sowie der Lithographie zu ungeahnter Perfektion gebracht hatte, wurde nach knapp zweijährigem Prozess wegen Betruges und Fälschung zu achtzehn Jahren schweren Kerkers in Stein verurteilt. Der Gesamtschaden seines kreativ-kriminellen Treibens bezog sich auf 42.000 Kronen, was heute in etwa 430000 Euro entspräche. 7

Mit Bedauern stellte das Gericht abschließend fest, dass an Krauthauf ein Mensch von hoher Intelligenz und überaus großer Begabung verloren gegangen sei, welcher es “in jeder besseren Sache zu einer bedeutenden Stellung gebracht hätte.”
Mutter Krauthauf hingegen war in ihrem Bestreben, sich das Leben mit einigen Tropfen Zyankali zu nehmen, erfolgreicher gewesen. Noch während man ihre Vernehmung auf der Polizeistation vorbereitet hatte, leerte sie heimlich das Fläschchen, und brach in ihrer Zelle sterbend zusammen. Zu diesem Zeitpunkt konnten die Beamten noch nicht ahnen, dass mit der Verhaftung von Familie Krauthauf nach Jahren erfolgloser Ermittlungen einer der gesuchtesten Fälscher Österreichs dingfest gemacht worden war.

Sowohl Strafgefangene als auch das Gefängnispersonal beobachteten den stillen, in sich gekehrten Mann mit großem Interesse. Ein Zellengenosse namens Fock erzählte nach dem Ableben des Meisterfälschers, dass dieser niemals Briefe geschrieben und auch keinerlei Post bekommen hätte. Unter den Gefangenen habe er keine Vertrauten gehabt, doch er galt als höflich und unkompliziert. Eines der wenigen Utensilien, um das Krauthauf gebeten hatte, war eine große, schwarze Tafel gewesen, auf welcher er seine Passion weiterführen konnte.
„Nur gezeichnet habe er auf einer Tafel, und an jedem Morgen sahen die Sträflinge in der Zelle einen riesigen Tausendguldenschein vor ihren Augen entstehen“, schilderte Fock. 8

Drei Jahre nach Haftantritt erdrosselte sich Viktor Krauthauf in seiner Zelle mit einem Tuch. In jener Nacht allerdings fertigte der ehemalige Fälscher zuvor auf einem simplen Blatt Papier, welches er sich zum Zwecke der Niederschrift seines Testaments erbeten hatte, noch einen letzten Zehner in allen Einzelheiten an. Denn das letzte Exemplar jeder Charge hatte sich Krauthauf stets zurückbehalten. Als Andenken.
 

  • 1Neues Wiener Journal, 6. Juni 1896
  • 2Neues Wiener Journal, 6. Juni 1896
  • 3Ostdeutsche Rundschau, 6. Juni 1896
  • 4Neues Wiener Journal, 19. Mai, 1907
  • 5Neues Wiener Journal, 6. Juni 1896
  • 6(Neuigkeits) Welt Blatt, 11. Juni 1896
  • 7Das Interessante Blatt, 23. Dezember1895
  • 8Neues Wiener Journal, 19. Mai 1907