Mayerling und das letzte Porträt des Kronprinzen- Prolog

Am 28. Jänner 1889 beginnt die Reise in den Tod. Kronprinz Rudolf und Baronesse Mary Vetsera treten sie nicht gemeinsam an, erst vor den Toren Wiens trifft man sich, um über vereiste Strassen langsam gen Mayerling zu fahren. All das ist geplant, all das wurde vorbereitet. Noch während die beiden unterwegs sind steigt in Wien die Nervosität. Schon um die Mittagsstunde wird Gräfin Marie Larisch, deren Rolle in dieser Affäre sie zu einer der meist verachteten Personen der Monarchie werden lässt, durch eine Falschaussage versuchen, sich von den Vorgängen zu distanzieren. Baronin Helene Vetsera, Marys Mutter, lässt hektisch Erkundigungen über den Verbleib ihrer Tochter einziehen, und Alexander Baltazzi, Marys Onkel und Vormund, mutmaßt bereits an dieser Stelle über eine Beteiligung des Kronprinzen. Dieser genießt in diversen Biographien auch heute noch den Ruf eines vom Leben gezeichneten Playboys, eines verbrauchten, weit über die Jahre gealterten Mannes, krank und in vielerlei Hinsicht an seinen Aufgaben gescheitert. Aber lässt sich dieses Bild vorbehaltlos zeichnen? Und wie passt die 17jährige Mary Vetsera nun tatsächlich hinein? Welche Rolle darf man ihr zuschreiben? Hört/Lest hier die erste Folge rund um die Affäre Mayerling, über jene Vorgänge, die letztlich zum Tod Mary Vetseras und Kronprinz Rudolfs führten.

Neuigkeits Welt Blatt, 07.12.1888: 

Kronprinz Rudolf auf Lieblingspferd
Das letzte Gemälde des Kronprinzen © Porzellanfuhre

“Herrn Ajdukiewicz, welcher in dem Atelier Makart seine Künstlerwerkstätte aufgeschlagen hat, wurde ein höchst ehrenvoller Auftrag zu Theil. Kronprinz Rudolf hat den Künstler mit der Anfertigung eines großen Bildes, die galizischen Manöver darstellend, betraut und dasselbe zu einem Geschenke für den Kaiser bestimmt. Ferners beauftragte der Kronprinz Herrn Ajdukiewicz mit der Ausführung seines Porträts zu Pferde. Dieses Bild ist zur Vervielfältigung bestimmt.” 1

 

Prolog

Vieles wurde bereits zum Thema “Tragödie Mayerling” erforscht, berichtet und diskutiert und bis in die Gegenwart kursieren die verschiedensten Theorien über jene letzten Tage im Jänner 1889. Bis heute beschäftigt viele Geschichtsinteressierte und HistorikerInnen, wie es zu dazu kam, dass in der Nacht auf den 30. Jänner Kronprinz Rudolf und Baronesse Mary Vetsera aus dem Leben schieden.  

Am 21.08.1858 wurde Kronprinz Rudolf als drittes Kind von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth in Schloss Laxenburg geboren. Ein langersehnter Thronfolger, der später einmal im Sinne des Kaisers regieren sollte und somit schon sehr früh auf seine Rolle vorbereitet wurde: Noch in der Wiege wurde Kronprinz Rudolf zum Soldaten ernannt und auch der für den Vater am besten geeignete Erzieher wurde auserkoren: Generalmajor Leopold Graf Gondrecourt.1   

Die Erziehungsmethoden sollten vor allem eines bewirken: Den Buben für das spätere Leben abhärten. So wurde Rudolf nachts im Lainzer Tiergarten ausgesetzt, wo er um sein Leben laufen sollte, weil er angeblich von einem Wildschwein verfolgt wurde. Häufig wurde er durch Pistolenschüsse geweckt und musste stundenlang im Regen exerzieren.  

An Rudolf gingen diese Erziehungsmaßnahmen nicht spurlos vorbei: Er wurde immer nervöser, ängstlicher und verlor sein Lachen. Die Veränderung des Kindes blieb nicht unbemerkt und vor allem einem fiel auf, dass das Kind sehr darunter litt: Dem Adlatus von Graf Gondrecourt, Josef Latour von Thurmburg. 

Latour zögerte nicht lange und sprach bei Kaiserin Elisabeth vor, um sie über die psychische Misshandlung ihres Sohnes durch die militärische Erziehung des Grafen Gondrecourt zu informieren. Daraufhin setzte Elisabeth im Jahr 1865 das sogenannte “Ischler Ultimatum” auf, in dem sie von Franz Joseph forderte, dass sie ab diesem Zeitpunkt allein über die Erziehung der Kinder bestimmen möchte. Kaiser Franz Joseph willigte ein und so übernahm Latour die Rolle des Erziehers. Dieser hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Kronprinzen, der eine sehr schnelle Auffassungsgabe besaß und gerne Neues lernte, liberal zu erziehen und ihn für Wissenschaft und Fortschritt zu begeistern. Somit legte er den Grundstein für Rudolfs spätere Sicht auf die Welt, die im völligen Gegensatz zu der seines Vaters stand. 2

Rudolf erholte sich langsam wieder von den Strapazen der letzten Jahre und wurde ein vielseitig interessierter, gebildeter junger Mann, den man auf Reisen schickte, um andere Länder und Völker kennenzulernen. Großes Interesse brachte er der Ornithologie entgegen und oft brachte er die verschiedensten Vögel von seinen Exkursionen für seine Sammlung mit. 

Am 10. Mai 1881 heiratete Kronprinz Rudolf die Prinzessin Stephanie von Belgien. Auch diese Ehe war, wie die meisten zu dieser Zeit, nicht aus Liebe geschlossen worden, sondern einzig und allein aus dynastischen Gründen. Dennoch sollen sich die beiden sehr guten verstanden haben und die ersten Jahre waren galten als durchaus harmonisch. Am 02.09.1883 kam ihre Tochter Elisabeth Marie, in der Familie ‘Erzsi’ genannt, auf die Welt.3  

„Mildtätig und mitleidig war sie, ihre Freunde haben sie geliebt, und ein sehr romantischer Sinn war ihr eigen“, schrieb Gabriel Dubray , der Französischlehrer Mary Vetseras nach der Tragödie von Mayerling in der Pariser Zeitung „Matin“.  Auch als verwöhntes Kind beschrieb er sie, etwas kokett sei sie gewesen, und von den anderen Frauen, die Mary im zarten Alter von siebzehn Jahren bereits in den Schatten stellte, wahrlich gehasst. Aber auch als überaus gutmütig und hilfsbereit galt die „kleine Vetsera“, wie man sie schon bald in Hofkreisen abschätzig nennen sollte, Stolz oder gar Arroganz wollte man ihr nicht attestieren. Beiden Schwestern Vetsera übrigens nicht, denn auch Helene, die ältere der beiden Baronessen, galt als freundlich, wenn auch weniger aufbrausend, von weit mehr zurückhaltendem Charakter. 4

Der Tag, an dem Marys Obsession für den Kronprinzen von Österreich einsetzte, wird gemeinhin auf den 12. April 1888 gelegt. Die Frühjahrssaison in der Freudenau, dem Veranstaltungsort für Pferderennen in Wien schlechthin, hatte gerade erst begonnen, als Mary Vetsera an jenem Donnerstag Kronprinz Rudolf auf der Tribüne entdeckte. Dass Familie Vetsera diese lauen Frühlingstage nicht ausschließlich aus Gründen des gesellschaftlichen Anreizes auf der Rennbahn verbrachte, war vor allem in der Omnipräsenz der Gebrüder Baltazzi zu suchen, Marys Onkeln. Wie kaum eine andere Familie dominierten die Baltazzis das Geschehen auf der Rennbahn, und konnten außerordentliche Erfolge sowohl in der Pferdezucht wie auch im Sattel verbuchen. 

Gesellschaftszeitungen bemühten sich dabei, ihrer Leserschaft möglichst stimmungsvolle Einblicke in die Welt der Hocharistokratie zu vermitteln und beschrieben neben den sportlichen Ereignissen auf der Rennbahn vor allem auch die im Publikum anwesenden Damen, gehüllt in die neuesten modischen Kreationen jener Tage. Mary und ihre Schwester, die sich zusammen mit ihrer Mutter in den Rennpausen dem Flanierten hingaben, trugen schwarzweiß gestreifte Leinenkostüme mit breiten, weißen Strohhüten, die durch schwarze Bänder garniert waren. 5

Baronin Vetsera hüllte sich überwiegend in schwarz, was von den anwesenden Reportern als geschmackvoll und passend goutiert wurde, war ihr Ehemann doch erst wenige Monate zuvor in Kairo einem Schlaganfall erlegen.   

Wer nun wen letztlich ins Auge fasste, und ob die Blicke Marys und Rudolfs sich an jenem Tag tatsächlich mit Absicht trafen, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit sagen. 

„Die Baronesse scheint sich im Frühjahr 1888 in den Kronprinzen verliebt zu haben, denn von dort ab trat in ihrem Benehmen und ihrer Stimmung eine auffallende Veränderung zu Tage“, berichtet Marys Französischlehrer weiter. Noch wurde das lebhafte Interesse der „kleinen Vetsera“ für den Kronprinzen als törichte Schwärmerei abgetan und sowohl ihr Lehrer als auch ihre Mutter sahen kaum mehr darin als naive Träumereien.  

Das erste Treffen der beiden lässt sich durchs Marys Briefe an ihre ehemalige Klavierlehrerin und Vertraute, Hermine Tobis, rekonstruieren und zeitlich einordnen: „Liebe Hermine! Heute bekommen Sie einen glückseligen Brief, denn ich war bei ihm. Marie Larisch nahm mich mit, Kommissionen zu besorgen, dann gingen wir zu „Adele“ um uns photographieren zu lassen, für ihn natürlich, und dann gingen wir hinter das Grand Hotel, wo uns Bratfisch erwartete. Wir hüllten unsere Gesichter fest in unsere Boas und fort ging´s in sausendem Galopp in die Burg. An einer kleinen, eisernen Türe erwartete uns ein alter Diener, welcher uns über mehrere finsteren Treppen und Zimmer führte, endlich vor einer Tür haltmachte und uns eintreten ließ.“ 

Rudolf quittierte diesen ungewöhnlichen Besuch vom 5. November 1888 angeblich mit den Worten: „Bring sie mir bald wieder! Ich bitte!“, welche er an seine Cousine Marie Larisch richtete. 6

Ein in Zusammenhang mit den Ereignissen rund um Mayerling stets gern genanntes Datum beschreibt den 27. Jänner 1889, trafen an jenem Abend doch alle ProtagonistInnen dieses Dramas im Zuge eines Galaempfangs in der Deutschen Botschaft in Wien aufeinander. Das zu Ehren des Deutschen Kaisers Wilhelm II. gegebene Geburtstagsfest ging in unterschiedlichste Aufzeichnungen ein, wobei sich die Darstellungen der Ereignisse teils drastisch unterscheiden. Neben Mary, Hanna und ihrer Mutter Helene waren auch Kronprinz Rudolf, dessen Frau, Kronprinzessin Stephanie, sowie Kaiser Franz Joseph mit großer Suite anwesend. Das in der Metternich Gasse (im dritten Wiener Bezirk) abgehaltene Fest gehörte zweifellos zu den gesellschaftlichen Großereignissen jener Tage, umfasste 600 Einladungen und spiegelte weite Teile der höchsten Wiener Gesellschaft wider. 7

Noch heute häufig in der Literatur zu finden ist ein angebliche Affront Mary Vetseras gegenüber Kronprinzessin Stephanie, indem diese sich weigerte der Gattin des Kronprinzen von Österreich Respekt zu zollen. Mary, so wurde behauptet, blickte Stephanie, als diese vorüber ging, direkt ins Auge und verweigerte den untertänigen Gruß. Geschrieben wurde auch, Mary habe deutlich vernehmbar mit dem Fuß aufgestampft und so versucht einen Skandal zu provozieren. Obwohl eine derart „wilde“ Geschichte in diversen Biografien und Artikeln zweifellos reizvoll erscheint, dürfte sie höchstwahrscheinlich ins Reich der Fantasie zu verweisen sein. Tatsächlich lässt sich diese Episode nur in den Memoiren der Gräfin Larisch finden, die an diesem Abend nicht persönlich anwesend war. Werder Kronprinzessin Stephanie, noch Helene Vetsera berichteten derartiges, auch Kaiser Franz Joseph, der Kaiserin Elisabeth in seinen Briefen durchaus mit Tratsch unterschiedlichster Art versorgte, ging in keiner Weise auf eine derartige Episode ein. Auch Rudolfs Verhalten wurde an jenem Abend unterschiedlich wahrgenommen: Während Louise von Coburg ihren Schwager sehr nervös gesehen haben wollte, beschrieb die Gattin des britischen Botschafters, Lady Paget, ihn als niedergeschlagen und traurig. 

Auch andere Szenen dieses Abends wurden in unterschiedlicher Weise festgehalten. Ein lautstarkes Streitgespräch zwischen Kronprinz Rudolf und dessen Frau Stephanie rund um Mitternacht kann ebenfalls nicht mit Sicherheit angenommen werden und jener denkwürdige Moment, in welchem Kaiser Franz Joseph seinen Sohn öffentlich diskreditiert haben solle, ist auch nicht zu verifizieren. So steht der Galaempfang des deutschen Botschafters Prinz Reuß am 27. Jänner 1889 bis heute für eine von Eifersucht, fatalistischer Liebe, Betrug und politischen Diskrepanzen zerfressene Herrschaftsfamilie, ohne die wahren Umstände tatsächlich aufzeigen zu können.  

Schon am 28. Jänner, nur wenige Stunden nach dem Fest, traten Mary Vetsera und Kronprinz Rudolf ihre Fahrt nach Mayerling in Niederösterreich an. 8  Diese Reise in einen gemeinsamen Tod war geplant und gewollt, Marys Abschiedsbriefe an ihre Familie, die im Jahr 2015 wiedergefunden wurden, belegen das. Inzwischen lassen sich die Ereignisse dieses Tages auch zu großen Teilen rekonstruieren, inklusive jener Episoden, welche durch die Rolle der Gräfin Marie Larisch, die als Vermittlerin zwischen Mary und Rudolf agiert hatte, zunächst undurchsichtig geblieben waren.  

„Jene Gräfin Larisch“, wie auch ihre Biographie später betitelt werden sollte, hatte diverse Treffen zwischen den Beiden erst ermöglicht. Noch heute wird ihr eine Schlüsselfunktion bezüglich der schicksalhaften Ereignisse in Mayerling eingeräumt, ihre historischen Hinterlassenschaften gelten teilweise allerdings als zweifelhaft und bedürfen nicht selten weiterer Prüfungen. Letztlich jedenfalls gelang es mit ihrer Hilfe Mary Vetsera nach Mayerling zu bringen, wo die schicksalhaften  Ereignisse ihren Lauf nehmen sollten.  

 

  • 1 a b Anno, Neuigkeits Welt Blatt, 07.12.1888.
  • 2Bled, Jean- Paul, Kronprinz Rudolf, 2006 Wien.
  • 3Weissensteiner, Friedrich, Frauen um Kronprinz Rudolf, 1991 Wien.
  • 4Swistun, Hermann, Mary Vetsera, Gefährtin für den Tod, 1999 Wien.
  • 5Swistun, Hermann, Mary Vetsera, Gefährtin für den Tod, 1999 Wien.
  • 6Swistun, Hermann, Mary Vetsera, Gefährtin für den Tod, 1999 Wien.
  • 7 Schiel, Irmgard, Kronprinzessin im Schatten von Mayerling, 1978.
  • 8Schaefer, Camillo, Mayerling. Die Tragödie und ihre Deutungen, 1987.