Als er im Juli 1890 spurlos verschwand, wurde in der Geschichte Habsburgs ein neuer Mythos geboren. Erzherzog Johann Salvator, der Unbequeme, der Eigenwillige und kaum Berechenbare, schrieb sich auch durch seinen hohen Intellekt, den scharfen Verstand und seine vielseitigen Begabungen in die Geschichte ein. Selbst Kaiser Franz Joseph, den er durch seine Eigenmächtigkeiten regelmäßig zur Weißglut brachte, war sich des Talents seines schwierigen Verwandten bewusst. Einen Konsens erreichten die beiden Männern jedoch nie.
Johann Nepomuk Salvator kam im Jahre 1852 als jüngster Sohn des letzten regierenden Großherzogs der Toskana, Leopold II., zur Welt und verbrachte den größten Teil seiner Jugend bereits im österreichischen Exil. Mit neun Jahren wurde er auf Wunsch Kaiser Franz Josephs direkt an den Wiener Hof gerufen, um ihm eine den Vorstellungen des Kaisers entsprechend adäquate Ausbildung zu vermitteln. Schon früh zeigten sich die vielfältigen Talente des jungen Erzherzogs, doch mischten sich zunehmend auch ein kaum zu bändindigender Reformwille sowie republikanisches Gedankengut in die Lebenswelt Erzherzog Johann Salvators, wodurch ihm eine dauerhafte Karriere im österreichischen Militär versagt bleiben sollte. Während der Okkupation Bosniens im Jahre 1878 allerdings hatte der Erzherzog Gelegenheit, seine Fähigkeiten als Offizier unter Beweis zu stellen. Tatsächlich zeigte sich Johann Salvator sowohl an der Front als auch im Aufbau von Infrastruktur und der Etablierung gesellschaftlicher Verbindungen als fähig. Einen permanenten Posten in der Verwaltung Bosniens lehnte der über Monate hinweg an der Ruhr leidenden Habsburger letztlich jedoch ab. 1
Durch überhöhte, politische Vorstellungen und mangelnden Realitätssinn verstrickte sich Johann Salvator 1886 im Zuge der Frage nach einem Anwärter für den bulgarischen Thron in ein politisches Ränkespiel ohne Absprache mit der österreichischen Regierungsspitze, wodurch es zu einem dauerhaften Vertrauensbruch mit dem Kaiser kam. Schon wenige Monate später sah sich der gesellschaftlich angeschlagene Erzherzog aus Gründen der persönlichen Ehre verpflichtet, all seine offiziellen Funktionen als Offizier der kaiserlichen Armee zurückzulegen. Erzherzog Johann Salvator war zum Privatmann geworden, eine Stellung, in welcher er sich Zeit seines Lebens nur schwer zurechtfinden sollte.
Neben seiner militärischen Laufbahn verfolgte Erzherzog Johann Salvator auch vielfältige künstlerische Ambitionen, die ein gewisses Maß an Talent erkennen lassen. Schon als Kind beschäftigte er sich mit dem Komponieren und dem Verfassen von Bühnenstücken.
Das 1883 initiierte Kronprinzenwerk, ein umfangreiches, aus 24 Bänden bestehendes Nachschlagewerk, welches die nach Kronländern geordneten Gegebenheiten der österreichisch-ungarischen Monarchie zu beschreiben hatte, wurde nicht - wie der Titel vermuten lässt - von Kronprinz Rudolf angeregt, sondern ursprünglich von Erzherzog Johann Salvator. Tatsächlich arbeiteten beide Männer daran, Unstimmigkeiten in der Umsetzung dieser Enzyklopädie führten jedoch zu einem frühen Verlassen Johann Salvators der Redaktion. Beschreibende Texte von ihm in Bezug auf das Land Oberösterreich haben sich in dem Werk jedoch erhalten. 2
1889 kam es zum endgültigen Bruch mit dem Kaiserhaus, Erzherzog Johann Salvator suchte schriftlich bei Kaiser Franz Joseph um Entlassung aus dem Familienverband an, wodurch er aller seiner Titel und Privilegien verlustig ging.
Die Überzeugung des umtriebigen Erzherzogs, dass auch der Adel seinen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten habe um eine Existenzberechtigung zu besitzen, ließ Johann Orth, wie er sich nun nannte, Ende der 1880er Jahre das Kapitänspatent mit dem Hintergrund erwerben, einen Frachter zu kaufen und den Beruf des Handelskapitäns zu ergreifen. Trotz mannigfacher Schwierigkeiten und bürokratischer Hürden gelang es ihm letztlich, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Bereits auf seiner ersten Überfahrt von Europa nach Südamerika sank die “St, Margaret” allerdings bei dem Versuch Kap Horn zu umschiffen in einem Orkan. Überlebende wurden nicht aufgegriffen, auch Johann und seine Frau Ludmilla verschwanden in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1890 spurlos mit dem Schiff. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Mannschaft aus insgesamt 25 Personen. Ein Aussteiger aus dem Kaiserhaus: Johann Orth.
Da es für den Tod des ehemaligen Erzherzogs keine Zeugen gab, wucherten rasch Gerüchte und teils wilde Spekulationen rund um das Ableben des Habsburgers. Eine Vielzahl an angeblichen Sichtungen in Südamerika machte die Runde, immer wieder tauchten Doppelgänger und angebliche Nachfahren auf, deren Geschichten es in manchen Fällen bis in die österreichische Presse schafften. Bis in die jüngste Vergangenheit wurde Familie Habsburg mit solchen Anliegen konfrontiert.
Johann Orth, vormals Erzherzog Johann Salvator, gilt bis heute als einer der talentiertesten und fähigsten Habsburger des 19. Jahrhunderts, zerbrach allerdings an dem konservativ und religiös gefärbten Establishment unter Kaiser Franz Joseph. Gewisse Parallelen zur Figur Kronprinz Rudolfs sind erkennbar, auch wenn die beiden Männer eine wohl durchwachsene Freundschaft verband. Aus erhalten gebliebenen Aufzeichnungen Kaiser Franz Josephs ist zudem einsehbar, dass auch dieser seinen umtriebigen Verwandten zu schätzen wusste, aller Zerwürfnisse zum Trotz. Möchte man der Fama Glauben schenken, so ließ Kaiser Franz Joseph nach Erhalt der Schreckensmeldung sofort ein Schiff Richtung Südamerika auslaufen, um Johann zu suchen. Eine Erfolgsmeldung allerdings konnte nie in die Hofburg gebracht werden.