Im Jahre 1927 sollte der Name Eugen Ketterl noch einmal in der österreichischen Presse für Aufmerksamkeit sorgen. Gespannt verfolgte man den, gegen einige Nachfahren Kaiser Franz Josephs angestrebten Prozess auf Auszahlung einer vom Monarchen lebenslang zugesicherten Rente, die mit dem Zerfall der Monarchie und der auf den Krieg folgenden Hyperinflation schließlich eingestellt worden war. Ketterl, einst erster Leibkammerdiener des Kaisers, zog mit weiteren ehemaligen Hofangestellten vor Gericht - und verlor. 1
Als im Jahre 1929 schließlich seine Memoiren in Form eines Buches erschienen, war Eugen Ketterl schon nicht mehr am Leben. Als Herausgeberin fungierte Cissy Klastersky, der Inhalt beschreibt in relativ kurz abgehandelten Kapiteln das Leben Eugen Ketterls an der Seite eines der mächtigsten Männer des 19. Jahrhunderts, und gilt noch heute als interessante Lektüre zum Themenkreis Kaiser Franz Joseph. Allgemein wird Ketterls Sichtweise in seinem Buch als “Schlüssellochperspektive” auf den Kaiser und den Wiener Hof interpretiert, da der berühmte Leibkammerdiener zwar dem Kaiser direkt unterstellt war, und somit von Haushofmeistern und Generaladjutanten weitgehend unabhängig agieren konnte, letztlich allerdings auf einen durchaus überschaubaren Wirkungskreis in seinen Tätigkeiten beschränkt blieb. Vergessen sollte man auch nicht, dass Eugen Ketterl seinen Dienst als Kammerdiener des Kaisers erst im Jahr 1894 antrat. So manches, die francisco-josephinische Ära prägende Ereignis, wie zum Beispiel der spektakuläre Selbstmord Kronprinz Rudolfs, hatte Eugen Ketterl nicht oder nur zu geringen Teilen am Wiener Hof selbst miterlebt. Diverse Aussagen und Interpretationen sind in Ketterls Buch daher mit Vorsicht zu genießen. 2
Auch die Aussage, dass Eugen Ketterl Kaiser Franz Josephs letzter Leibkammerdiener gewesen wäre, ist bei genauerer Betrachtung nicht richtig. Zwar fungierte Ketterl zweiundzwanzig Jahre als Leibkammerdiener des Kaisers und nahm davon auch geraume Zeit die Funktion des Vorstands der Kammer ein. Tatsächlich aber verfügte Franz Joseph in seiner privaten Kammer über drei Leibkammerdiener, die ihren Pflichten abwechselnd nachzukommen hatten. Auch zum Zeitpunkt des Todes Kaiser Franz Josephs im Jahr 1916 versahen noch drei Diener ihren Kammerdienst. Namentlich bekannt blieb - nicht zuletzt durch die Aufzeichnungen Eugen Ketterls - der Leibkammerdiener Josef Hornung. Dieser, im Jahre 1814 geboren, versah seinen Dienst an der Seite Kaiser Franz Josephs sechzig Jahre lang und weigerte sich selbst im fortgeschrittenen Alter, den Ruhestand anzutreten. Die “Beamten Zeitung” weiß zu berichten, dass Hornung ursprünglich den Beruf des Friseurs erlernt hatte und zunächst dem damals noch jugendlichen Kaiser die Haare schnitt. Nennenswerte schriftliche Hinterlassenschaften sind auch von Hornung allerdings nicht bekannt. Beamten Zeitung. 3
Eugen Ketterl jedenfalls verbrachte seine ersten Jahre in der Wiener Hofburg nicht als Diener oder Kammerdiener, sondern als Servierkraft und Silberputzer, unterstand somit der Wiener Silberkammer und rückte erst allmählich auf. Rasch etablierte sich der tatkräftige und äußerst gewissenhaft agierende Ketterl in der Kammer des Kaisers, schreckte auch vor Reformen und Neuerungen unterschiedlichster Natur nicht zurück und brachte offenkundig auch ein gewisses Durchsetzungsvermögen mit. Ketterls Expertise in Bezug auf Kaiser Franz Josephs Garderobe (militärisch als auch zivil) fand allgemein Anerkennung, auch die Beziehung zu Katharina Schratt dürfte positiv gewesen sein. Zudem begleitete Eugen Ketterl den Kaiser auf unzählige Reisen und sammelte somit vielfältige Eindrücke, die in sein Buch teilweise Eingang fanden. 4
Nach dem Tod Kaiser Franz Josephs im Jahr 1916 wurde Eugen Ketterl zwar noch in die Abwicklung des kaiserlichen Nachlasses, sowie in die Organisation des kaiserlichen Begräbnisses mit eingebunden, fand am Hof allerdings keine weitere Anstellung mehr. Mit dem Ende der francisco-josephinischen Ära endete auch sein Wirken in der Wiener Hofburg, mit Ausnahme des Wohnrechts. Zwar hatte Familie Ketterl nach Kaiser Franz Josephs Tod vom Amalientrakt in den Reichskanzleitrakt zu übersiedeln, die Wohnung im dritten Stock blieb den Ketterls aber noch viele Jahrzehnte erhalten und diente nach Eugens Tod zunächst seiner Witwe Louise, danach seinen Söhnen Franz und Eugen jun. als Apartment. Eugens Tochter Elisabeth starb bereits mit dreiundzwanzig Jahren, eine weitere Tochter mit Namen Louise noch im Jahr ihrer Geburt.
Finanziell dürften Eugen Ketterl und seine Familie durch dessen Anstellung weit über die Grenzen des vereinbarten Gehalts hinaus profitiert haben, nach dem Wegfall der Arbeitsstelle und der Geldentwertung durch die kriegsbedingte, extreme Inflation geriet die Familie zusehends in finanzielle Nöte. Erhalten gebliebene Briefe zwischen Familie Ketterl und potentiellen Interessenten bezüglich diverser Memorabilia und Militaria aus dem Besitz Kaiser Franz Josephs geben Hinweise auf einen schwungvollen Handel. Tatsächlich ist eine eindrucksvolle Sammlung Eugen Ketterls für jene Jahre gut belegt. 5
Auch Eugen Ketterls Publikationen dürfen teilweise wohl im Kontext einer finanziell angespannten Zeit gesehen werden. Darüber hinaus erschien das Buch zu einem Zeitpunkt, als der Prozess Ketterls gegen einige der Nachfahren Kaiser Franz Josephs noch in aller Munde war. Wie sehr dieses gerichtliche Nachspiel einer langjährigen Dienstzeit am Wiener Hof Eugen Ketterl und andere Involvierte wohl beschäftigte, wird durch das Vorwort in der Originalausgabe von 1929 ersichtlich. Darin bezieht sich die Herausgeberin Cissy Klastersky sehr viel mehr auf den Gerichtsprozess und dessen Hintergründe als auf den eigentlichen Inhalt des Werkes. Dieses Vorwort ist in den neuen Ausgaben nicht mehr enthalten. 6
Eugen Ketterl starb am 11. Oktober 1928 in Wien.
Erlafthal-Bote, 9. Oktober 1927
Der wahrheitsgetreue Bericht seines Leibkammerdieners Eugen Ketterl, Verlag Molden, 1980
Zeitschrift des Ersten Allgemeinen Beamten Vereins der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, 1895
Der alte Kaiser wie nur Einer ihn sah: Der wahrheitsgetreue Bericht seines Leibkammerdieners Eugen Ketterl, Verlag Molden, 1980
Siehe Korrespondenz Familie Ketterl, Wien Bibliothek.
Der wahrheitsgetreue Bericht seines Leibkammerdieners Eugen Ketterl, Klastersky Cissy und Eugen Ketterl, Gerold Verlag, 1929; Salzburger Chronik für Stadt und Land, 6. April 1929