Hugo Schenk- Der erste Serienmörder Wiens

(TW: Gewalt) Eine unheimliche Mordserie erschütterte zu Beginn der 1880er Jahre die Kaiserstadt Wien. Die wenigen Zeugenaussagen formten das Bild eines charismatischen Mannes, der Frauen geschickt in eine tödliche Falle zu locken verstand. Hört/Lest hier die Geschichte des ersten dokumentierten Serienmörders von Wien.

Liebe Fini, du hast am 18. Mai geschrieben, dass du heiraten und mit deinem Mann nach Rußland gehen willst. Bist du so glücklich mit ihm, dass wir nicht mehr von dir hören? Am 7. Juli ist ein Telegramm von dir gekommen, ich habe es bezahlen müssen. Du brauchst die Tante Katharina als Wirtschafterin? Wenn es dir so gut geht, bezahle mir das Telegramm, es hat 1 Gulden 40 gekostet. Weil du uns nicht zu deiner Hochzeit eingeladen hast, weint die Mutter. Ich richte diesen Brief nach Wien, weil ich nicht weiß, wo du bist.”1

Zu jener Zeit, als der besorgte Vater Josefine Timals diesen Brief aufsetzte, war seine Tochter längst tot. Ihr geschundener Körper war aus einem Fluss gezogen worden, die gerichtsmedizinische Untersuchung ergab Tod durch Schädelbruch. Noch waren die Zusammenhänge unklar, noch war das unheimliche Phänomen Hugo Schenk nicht enttarnt. Der Tod Josefine Timals, ebenso wie der ihrer Tante Katharina, das Verschwinden Rosa Ferencys, sowie der angebliche Selbstmord Therese Ketterls- sie alle repräsentierten Teile eines der komplexesten Kriminalfälle des 19. Jahrhunderts in Österreich. Es war auch der in den 1880er Jahren noch wenig entwickelten Kriminalpolizei zuzuschreiben, dass Hugo Schenk und seine beiden Komplizen beinah ungehindert ihr Unwesen treiben konnten. Vom Heiratsschwindler und Betrüger durchlief  der intelligente und durchaus gutaussehende Schenk eine kriminelle Bilderbuchkarriere und avancierte zum ersten gut dokumentierten Serienmörder Österreichs. Seine Untaten wogen so schwer, dass der Name Schenk noch Jahrzehnte später als Schimpfwort in Gebrauch stand  (siehe die Folge Rosa Schaffer)

Hugos Erfolg bei Frauen, die er sehr genau für seine Verbrechen  auswählte, war wohl auch den sozialen Umständen jener Jahre geschuldet, sowie der gesellschaftlichen Schichtung. Der stets elegant auftretende und äußerst eloquente Schenk wählte bewusst Opfer aus den unteren Ständen, gaukelte den Frauen die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs durch Heirat vor und gewann rasch das Vertrauen seiner meist hart arbeitenden, desillusionierten Opfer.

Dabei endeten die Beziehungen Hugo Schenks nicht immer tödlich. Zeitweise ging er auch längere, offensichtlich emotional verankerte Bindungen ein, was ihn allerdings nicht daran hinderte, auch diese Frauen finanziell und sexuell auszunutzen. Eine Ausnahme bildete dabei wohl die im Jahre 1879 geschlossene Ehe Hugo Schenks mit einer gewissen Wanda. Wanda Schenk konnte nach der Verhaftung ihres Mannes allerdings glaubhaft ihre Unschuld darlegen und retournierte ihr zuvor geschenkte Preziosen, die in Wirklichkeit von Hugos getöteten Opfern stammten, an deren Familien. 2

Porträts die den Serienmörder Hugo Schenk, seine Komplizen und seine Opfer zeigen
Hugo Schenk, seine Komplizen und seine Opfer

Während einige Gedichte des Mörders bis heute im kollektiven Bewusstsein Österreichs überleben konnten, sind sonstige schriftliche Hinterlassenschaften Schenks als selten anzusehen. 

Das folgende Schriftstück wurde zusammen mit dem Testament des Serienmörders durch Zufall im Jahre 1934 in der Wohnung Franzensbrückenstraße 22 aufgefunden, von Josef Richter, der den Nachlass seines Vaters sichtete.  Selbiger hatte in jungen Jahren als Justizbeamte Dienst getan, und dürfte Schenk auf diesem Wege begegnet sein. 

Das Verschwinden  persönlicher Dokumente aus den Zellen berühmter Krimineller stellt indes  keinen Einzelfall dar. Als die Notizbücher Luigi Luchenis abhanden gekommen waren, führte dies bei dem Mörder Kaiserin Elisabeths in eine ernsthafte Krise, welche die Bedingungen seiner lebenslangen Haft im Genfer Gefängnis Eveche deutlich verschlechterte. 

Auch in diesem Fall ließ sich der mysteriöse Verlust persönlicher Dokumente mit Teilen des Wachpersonals in Verbindung bringen, und auch diese Aufzeichnungen tauchten viele Jahrzehnte später in den Resten eines Nachlasses wieder auf. 

Schenks Brief, der hier unverändert wiedergegeben werden soll, richtet sich an Emilie Höchsmann, eine von mehreren Geliebten Hugos. Obwohl auch die Höchsmann finanziell ausgebeutet wurde, baute Schenk ein deutlich stabileres Verhältnis zu ihr auf, und trug sich ihr gegenüber nicht mit Mordabsichten. Immer wieder erhielt sie von Schenk Beweise seiner Gunst in Form kleiner Präsente, nicht ahnend, dass die Schmuckstücke Trophäen seiner ermordeten Opfer darstellten. 

Für einen Skandal der besonderen Art sorgte zudem ein öffentlicher Auftritt  Emilies im Gerichtssaal, während ihrer Vernehmung. Man musste den Saal räumen und die Zeugin abführen lassen, da sie völlig unerwartet, vor Hugo kniend, ihre Liebe bekundet hatte. Ein letzter Triumph des ebenso charmanten  wie gefährlichen “Häfenpoeten” aus dem späten neunzehnten Jahrhundert. 

Emilie änderte kurz nach dem Ableben Hugo Schenks trotz allem ihren Namen. Den folgenden Brief bekam sie nie zu Gesicht:
 

Emilie!

Hab Dank für deine Grüße; so von der ganzen Welt verlassen, thut es wohl, einen, auch nur einen freundlichen Gruß zu hören. Du hättest Ursache, mir die gröbsten Vorwürfe zu machen, und du ziehst sie zusammen in die Worte, “von deiner unglücklichen Emilie”. Weißt du, Emilie, das Unglück, das ich über dich und ein zweites Mädchen gebracht habe, nagt furchtbar an meinem Gewissen. Könnte ich mit einem zweimaligen Tode das Unglück, das ich über euch gebracht, abwälzen, gerne wollte ich ihn wiederholt erleiden. Es ist dies nicht eine Phrase, glaube mir, Emilie, es ist Wahrheit, denn das Leiden, welches ich jetzt ertrage, rein nur aus dem Grunde, um meinen ersten Wunsch erfüllt sehen zu können, ist eines Todes werth. 

Und sterben will ich - sterben muss ich! 

Ich habe auf dieser Welt nichts mehr zu suchen; 

Lasse dir darüber keine Trauer aufkommen; 

Wenn ich dir nicht ganz gleichgültig geworden bin, so kannst du mir nichts anderes, als die ewige Ruhe wünschen.  

Ich aber, Emilie, brauche zu meiner Ruhe das Versprechen von dir, dass du dir nie selbst das Leben nimmst, dass du deinem Kinde eine gute Mutter sein, und seinem Vater nie fluchen wirst. 

Emilie, ich kann dich nur einer großen Neigung versichern, aber nicht unbegrenzter Liebe; diese gehört in höchstem Grade geistig meiner Frau Wanda.  

Dies schließt aber nicht aus, dass der Mann nicht auch einem anderen Wesen, wie dir, vom Herzen gut sein kann. 

Noch bitte ich dich, Emilie, auf die Notizen, die die Zeitungen bringen, oder sonst kolportiert werden, nichts zu geben. 

Sollte Ich bei dir ein Hemd haben, so sende mir selbes bei Gelegenheit. Mir geht es entsetzlich schlecht. Ich wollte, es wäre schon vorbei. Schütze dich Gott, mein Kind.

Hugo


Bei dem zweiten Mädchen, welches in dem Brief beiläufig Erwähnung findet, handelt es sich um Josephine Eder, ein Dienstmädchen, welches Schenk zu einem Diebstahl bei ihrer Herrschaft anstiften konnte. Auch dieses Verbrechen konnte letztlich aufgeklärt werden. 

In Österreich konnten Hugo Schenk, seinem Bruder Karl und seinem Komplizen Karl Schlossarek nebst mehreren Mordversuchen, Vergewaltigungen und Überfällen vier Frauenmorde nachgewiesen werden. Da besonders Hugo viele Reisen unternommen hatte und es auf eben jenen Routen zu ungeklärten Mordfällen gekommen war, dürfte die Dunkelziffer ungemein höher liegen. Ein Ansuchen der deutschen Behörden bezüglich diverser ungeklärter Todesfälle nach der Verhaftung Schenks  wurde von Österreich aus Zeitgründen nicht stattgegeben. 

In einem aufsehenerregenden Prozess wurden Hugo Schenk und Karl Schlossarek zum Tode verurteilt, Karl Schenk, der tatsächlich nur indirekt an den Verbrechen beteiligt gewesen war, kam mit einer langjährigen Haftstrafe davon. 

Am 22.April 1884 schließlich kam es zu einer Doppelhinrichtung in Wien. Zwar wurden die Exekutionen an den Mitgliedern der Schenk Bande nicht öffentlich vorgenommen, doch fanden sich, gemäß dem Protokoll, eine Vielzahl von Personen ein, die dem makabren Schauspiel beizuwohnen hatten:

Zunächst trafen die Gerichtskommission sowie drei Mitglieder des Gerichtes und der Staatsanwalt bei der Richtstätte ein. Weiters musste der Gefängnisarzt, sowie der Anstaltsleiter anwesend sein. Nahe Verwandte der Verurteilten sowie die Verteidiger hatten ebenfalls das Recht, die Verurteilten auf ihrem letzten Weg zu begleiten.

Hinter dem Doppelgalgen wartete der Henker. Da man eine  Amtshandlung vornahm, musste  der Henker seiner grausigen Pflicht in voller Montur nachkommen, das heißt in schwarzem Rock, Zylinder und weißen Handschuhen. Unterstützt wurde er von zwei Henkersknechten, die zu beiden Seiten des Scharfrichters Position bezogen.  Hugo Schenk, der ein Menschenleben damit zugebracht hatte  Frauen zu belügen, zu benutzen, sie letztlich zu zerstören, äußerte nur einen einzigen Wunsch, als der Strick sich um seinen Hals legte: “Bitte”, sagte er höflich zum Scharfrichter, ,, grüßen sie mir meine Frau.” 3      

 

  • 1Kriminalgeschichten aus dem alten Österreich, Leomare Qualtinger, 1995
  • 2 Das Interessante Blatt, 20. März 1884
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