
Kaum eine Frau in der österreichischen Geschichte verkörpert die Rolle der grauen Eminenz so überzeugend wie Erzherzogin Sophie, die Mutter Kaiser Franz Josephs. Politisch geschult, willensstark und entscheidungsfreudig lenkt sie die Geschicke des Kaiserreiches in den Köpfen der Menschen bis heute, als Schwiegermutter Kaiserin Elisabeths nimmt sie die Rolle der gnadenlosen Widersacherin ein.
Das Konzept der herrischen Schwiegermutter hat sich in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen bewährt, erst dadurch erstrahlt die stets jugendlich und naiv dargestellte Kaiserin Elisabeth in vollem Glanze. Dieses Image hat sich eingebrannt, längst ist das künstlerische Konzept mit den verfügbaren historischen Informationen, die über Sophie kursieren, verschmolzen. Erzherzogin Sophie steht für das erdrückende, starre Establishment. Sie bleibt der Bösewicht.
Davon ist im Jahre 1824, als die junge Frau in die Familie Habsburg einheiratete, allerdings noch nicht viel zu merken. Erzherzog Franz Carl dürfte seiner Braut überaus zugetan gewesen sein, gleich mehrmals besuchte er Sophie in Bayern, ohne in seinem Auftreten besonderen Eindruck hinterlassen zu haben. In gewohnt naivem Ton schrieb er seinem kaiserlichen Vater Franz I. von den Fortschritten, die er in der Sache mache, vom Liebreiz seiner Braut und der bereits bestehenden Harmonie zwischen den beiden. Die bayerische Verwandtschaft sah dies naturgemäß anders, nahm den jungen Erzherzog als linkisch und unreif wahr, und schien von seinem Übereifer eher abgestoßen zu sein. Es darf angenommen werden, dass Erzherzog Franz Carls Eindrücke von seinem und Sophies Glück nicht uneingeschränkt geteilt wurden, wahrscheinlich war der jungen Braut die dynastische Bedeutung dieser Ehe bereits im Vorfeld eindringlich klargemacht worden.
Es sollte sechs Jahre dauern, bis Erzherzogin Sophie ihr erstes Kind im Jahre 1830 zur Welt brachte, wodurch sich ihre Position am Wiener Hof nachhaltig veränderte. Durch die schwächliche Konstitution der beiden Söhne Kaiser Franz I. erschien die Frage der Thronfolge über lange Zeit unsicher. Schon Jahre zuvor hatte ein ärztliches Attest Erzherzog Ferdinand, dem ältesten Sohn, einen frühen Tod durch Schlaganfall prophezeit und die Unmöglichkeit seines Regierens eingeräumt. Derartige Untersuchungen müssen als politisch wertend, vielleicht auch als richtungsweisend eingebunden werden und entsprachen durchaus dem Ränkespiel der Macht am Wiener Hof. Tatsächlich aber unterlag der Gesundheitszustand Ferdinands großen Schwankungen. Nach einer längeren Ruhephase wurde Erzherzog Ferdinand im Dezember 1832 von einer nicht enden wollenden Reihe schwerer epileptischer Anfälle heimgesucht, die Grund zu ernsthafter Besorgnis gaben. Am 24. Dezember erlitt der Thronfolger zweiundzwanzig große Anfälle, bereits am 19. Dezember hatte man ihm die Sterbesakramente verabreicht. Erzherzogin Sophie schrieb: ”Das quälende Warten auf den letzten Augenblick dieses unglücklichen Geschöpfes bringt mich ganz außer Rand und Band. Dieses Unglück wird meinen armen, ausgezeichneten Franz Carl tief schmerzen. Mein Franz, der seinen Bruder zärtlich liebt, und sich außerordentlich davor fürchtet, seinen Platz einnehmen zu müssen.” 1
Im Dezember 1848, als die Revolution tobte und die kaiserliche Familie bereits nach Olmütz geflüchtet war, wird Erzherzog Franz Carl im Angesicht des sich ankündigenden Machtwechsels überraschend Courage zeigen und den Thronverzicht zugunsten seines seines Sohnes Franz Joseph offen in Frage stellen. Obwohl Franz Carl seit dem Ableben seines kaiserlichen Vaters im Jahre 1835 niemals ernsthafte Ambitionen entwickelt hatte, selbst den Thron zu besteigen oder politisch Verantwortung zu übernehmen, musste ihm sein Verzicht als Akt wider der göttlichen Ordnung erschienen sein. Eine unerwartet heftige Diskussion zwischen den Eheleuten war die Folge, in welcher Franz Carl mit dem Gottesgnadentum und dem Versprechen an seinen Vater, die Thronfolge der natürlichen Ordnung entsprechend anzutreten, argumentierte. Erst der ihm im Traum erscheinende Vater, weiland Kaiser Franz II./I. konnte den störrischen Sohn Franz Carl mit überirdischem Beistand davon überzeugen, die Zukunft des Reiches in die jugendlichen Hände des Enkels zu legen.
Ein weiteres Problem, das unmittelbar vor der Machtübergabe auftrat, bezog sich auf den Namen des neuen, jugendlichen Kaisers. Während Franz und seine Mutter Sophie den Namen Franz II. favorisierten, gab Ministerpräsident Felix Schwarzenberg zu bedenken, dass eine zu deutliche Annäherung an Kaiser Franz I. und das damit verbundene System Metternich negative Assoziationen im Volk auslösen könnte. Die Einbindung des berühmten Reformkaisers Joseph II. sollte auf die nun einzuleitende, neue Ära unmissverständlich hinweisen und Tradition mit Reformwillen und Fortschritt verbinden. Erzherzogin Sophie beschrieb in einem ihrer Briefe die nicht enden wollende Diskussion ihres Sohnes mit Ministerpräsident Schwarzenberg, über Bedeutung und Deutung des Namens eines zukünftigen Kaisers. Schließlich einigte man sich auf den Doppelnamen Franz Joseph. Dass gerade in den frühen Jahren der franzisco-josephinischen Epoche die letzten Spuren des josephinischen Reformwillens durch die Einführung des Concordats zu tilgen versucht wurden, blieb indes eine Fußnote der Geschichte. Die Wirren der Revolution jedenfalls hatten das Weltbild Erzherzogin Sophies nachhaltig geprägt, in der Presse jener Monate gemachte Anspielungen auf das Schicksal Ludwig XVI. mögen bleibende Eindrücke hinterlassen haben. Sophie hatte den Plan, ihren Sohn als Antwort auf die tobende Revolution auf den Thron zu setzen wohl kaum allein entwickelt oder durchgesetzt, wie noch heute gelegentlich behauptet wird. Trotzdem verstand es die Erzherzogin, die Hebel der Macht in den entscheidenden Momenten umzulegen und sich zu behaupten. Jahre später, als Fürst Metternich und Fürst Schwarzenberg längst ihrer Rollen enthoben waren, vertrat Erzherzogin Sophie als Mutter des Kaisers nach wie vor eine Position beinah unumschränkter Macht. 2
Die im Jahre 1854 erfolgte Eheschließung Kaiser Franz Josephs mit der gerade einmal sechzehnjährigen Herzogin Elisabeth in Bayern darf nach all den politisch unerfreulichen Ereignissen der vorangegangenen Jahre auch als öffentliches Bekenntnis der Freude und der Versöhnung gelten. Anlässlich der kaiserlichen Hochzeit wurden Großspenden an die verschiedenen Teile des Reiches verteilt und auch unterschiedlichen Bevölkerungsschichten gewidmet. Selbst das im Revolutionsjahre so widerspenstige Wien durfte sich großzügiger Wohltaten erfreuen. Nur Ungarn und Italien, die nach wie vor unruhigen und aufmüpfigen Provinzen, bekamen nichts. 3
Das Verhältnis Kaiserin Elisabeths zu ihrer Schwiegermutter, die zunehmende Entfremdung der beiden Frauen und das über weite Strecken hinweg unterkühlte Verhältnis wurde in zahlreichen Publikationen umfangreich dargestellt. Als durchaus ergiebige Quelle in diesem Zusammenhang darf der Briefverkehr Kaiser Franz Josephs mit seiner Mutter in den frühen Jahren seiner Ehe gelten, aus dem eine gewisse Eigenständigkeit des Sohnes gegenüber seiner Mutter durchaus herauszulesen ist. Hatte Sophie die Räume für das frisch vermählte Paar zunächst noch selbst gewählt und deren Einrichtung persönlich überwacht, bestanden Franz Joseph und wohl auch Elisabeth bald schon auf Änderungen und Verbesserungen, die zu unerfreulichen Diskussionen Anlass gaben. Drohungen Sophies, die Hofburg überhaupt zu verlassen, wurden augenscheinlich nicht in die Tat umgesetzt. Familiäre Zwistigkeiten allerdings sollten weiterhin Begleiter Familie Habsburgs bleiben.
Spätestens ab dem Jahr 1867 lässt sich eine Schwächung der Position Erzherzogin Sophies und ein Rückzug aus der Gesellschaft ausmachen. Mit dem gewaltsamen Tod ihres zweiten Sohnes, Erzherzog Ferdinand Max, welcher als Kaiser von Mexiko traurige Berühmtheit erlangen sollte, scheint auch die Lebensfreude dieser einst so starken Persönlichkeit gebrochen zu sein. Zwar behält Sophie alte Gewohnheiten bei, lädt in regelmäßigen Abständen zum Tee und empfängt bei diesen Gelegenheiten auch ihren Sohn, ihre politische Macht und ihr persönlicher Einfluss auf den Kaiser von Österreich jedoch schwinden. 4
Als Erzherzogin Sophie nach einem Besuch des Wiener Burgtheaters im Jahre 1872 noch ein wenig frische Abendluft auf ihrem Balkon genoss, hatte das ungeahnte Folgen. Aus einer Verkühlung entwickelte sich rasch eine Lungenentzündung, schon wenige Tage später lag die Mutter des Kaisers von Österreich im Sterben. Eine der prägendsten Frauen ihrer Zeit schloss am 28. Mai 1872 für immer die Augen.