
Bedingt durch eine Vielzahl an Produktionen, Dokumentationen und Interpretationen liegt der öffentliche Fokus zu großen Teilen auf den frühen Jahren Kaiserin Elisabeths, ihrer Verlobung, der Verheiratung und den ersten Jahren ihrer Ehe. Eingebettet in das Klischee einer freien, naturverbundenen Jugend, legt man dabei relativ wenig Gewicht auf die frühen Jahre der Kindheit und handelt die Rollen der Eltern meist in bekannten Stereotypen ab. Bis heute leiht der beliebte Schauspieler Gustav Knuth Sisis Vater in der Vorstellung vieler sein Gesicht und versetzt das Publikum vor den Fernsehschirmen mit seiner liebevoll-unkonventionellen Art in die heile Welt eines bayerischen Familienidylls. Herzogin Ludovika hingegen überzeugt in der Person Magda Schneiders als liebevolle Mutter mit einem Hauch von Strenge, die ihren eigenwilligen Mann ebenso zu akzeptieren versteht wie ihre stetig wachsende Kinderschar: Mit einem Quäntchen Humor, einer Prise Optimismus und viel Liebe.
Dass Marischkas kurze Darstellung von Herzogin Elisabeths Kindheit nicht zwingend den realen, historischen Gegebenheiten entsprechen muss ist nachvollziehbar und aus der Sicht des Jahres 1955 auch verständlich. Elisabeth kümmert sich am Beginn des ersten Teils der bekannten Sissi Trilogie lieber um ihre Tiere und präsentiert ihre bereits beachtlichen Reitkünste, anstelle einen jener kleinen melancholisch-traurigen Verse zu rezitieren, die historisch nachweisbar sind. Auch die ersten romantischen Aufwallungen, lange vor der Begegnung mit Kaiser Franz Joseph, verpackt in ein weiteres Gedicht, bleiben ausgespart.
„Oh, ihr dunkelbraunen Augen,
Lang hab ich euch angesehen,
Und nun will mir euer Bildnis
Nicht mehr aus dem Herzen gehen.“
Die Identität des hier Beschriebenen blieb letztlich unbekannt. In einem weiteren Gedicht verrät Elisabeth zumindest, dass der Name des Angebeteten Richard war, der allerdings schon bald einer Erkrankung zum Opfer fiel. Elisabeth stand zu diesem Zeitpunkt im fünfzehnten Lebensjahr, es dürfte sich dabei wahrscheinlich um die dritte Begegnung der jungen Herzogin mit dem Tod gehandelt haben. Herzogin Ludovika erlitt im Jahre 1845 eine Totgeburt, die der damals Achtjährigen kaum entgangen sein dürfte. Im Jahre 1853 starb zudem ein Spielgefährte Elisabeths, der junge David Paumgarten, an Lungenentzündung. 1
„Du bist so jung gestorben
Und gingst so rein zur Ruh.
Ach wär mit dir gestorben,
Im Himmel ich wie du“
schrieb sie 1853 in ihr Gedichtbuch. Derartige Erfahrungen wurden allerdings nicht nur in Versform verarbeitet, sondern auch in Zeichnungen. Wenn auch noch kindlich naiv, so ist der Sarg im Trauerzug des verstorbenen Richard gut in Elisabeths Zeichnung zu erkennen.
Ob und inwieweit diese ersten Erfahrungen mit der Sterblichkeit innerhalb der Familie thematisiert wurden, bleibt unbekannt. Letztlich war Elisabeth nur eines von acht Kindern, die auf das Leben vorbereitet werden sollten. Der kleine Pius (in der Literatur auch als Wilhelm Karl vermerkt (1832-1833) starb an Keuchhusten.
Herzog Max in Bayern, der sich als Zither-Maxl schon zu Lebzeiten einer gewissen Bekanntheit erfreute und gemeinhin als unkonventionell galt, bleibt in seiner Rolle als Vater bis heute zwiespältig. Dies spiegelt gerade das Geburtsjahr Elisabeths in besonderer Weise wider, tritt Max doch kaum einen Monat nach Geburt seiner zweiten Tochter am 20. Jänner 1838 eine monatelange Orientreiser an. Mit der Missachtung familiärer Pflichten steht Max in der aristokratischen Welt des19. Jahrhunderts wohl kaum alleine da, seine Verbindung mit Herzogin Ludovika Wilhelmine von Bayern war keine aus Liebe entstandene. Sowohl Herzog Max als auch Herzogin Ludovika hatten ihr Herz anderwärtig verloren, was blieb war eine der Staatsräson unterworfene Zweckgemeinschaft. Möchte man den kursierenden Erzählungen Glauben schenken, so sperrte Ludovika Max in der Hochzeitsnacht sogar in einen Kasten, um die Ehe nicht vollziehen zu müssen.
Trotzdem würde es den Dingen wohl nicht gerecht werden, von einer völligen Entfremdung der Ehepartner zu sprechen und Max jede gesellschaftliche Aktivität innerhalb adeliger Kreise absprechen zu wollen. Gerade in den ersten Ehejahren nahm das Paar seine Repräsentationspflichten wahr, auch Herzogin Ludovika nahm an derartigen Ereignissen Teil. Auf ihre bekannte Rolle als Mutter dürfte sie ab dem Jahre 1837 zunehmend reduziert worden sein, da sowohl Herzog Pius, Max Vater, als auch Herzog Wilhelm, sein Großvater, zu jenem Zeitpunkt starben, und Max als Alleinerbe fungierte. Die nun zur Verfügung stehenden, beträchtlichen Geldmittel sollten auf seinen weiteren Lebensstil erheblichen Einfluss nehmen. Auch die bald darauf stattfindende Orientreise ist in diesem Zusammenhang zu betrachten.
Selbst nach der Verlobung seiner zweitgeborenen Tochter mit dem Kaiser von Österreich sah der eigenwillige Aristokrat keinen Grund sein Verhalten zu ändern. Herzog Max feierte die Verlobung Elisabeths vielmehr auf seine Weise: Im Kreise seiner „alt-englischen Tafelrunde“ wurden in ausgelassener Stimmung sogenannte „Leberreime“ auf den zukünftigen Schwiegervater zum Besten gegeben. Ermahnungen der bayrisch königlichen Verwandtschaft blieben ungehört. Herzog Max konnte sich kleine Skandale wie diesen schlicht leisten. 2
Auch von Seiten Ludovikas war diese Ehe nicht präferiert worden, schon bald rankten sich allerlei Geschichten und Erzählungen um die durchwachsene Partnerschaft, aus welcher später die berühmte Kaiserin von Österreich hervorgehen sollte. Noch heute wird der Satz: „Dieser Ehe und allem, was daraus hervorgeht, soll der Segen Gottes fehlen bis ans Ende“, Herzogin Ludovika zugesprochen, die ihn effektvoll beim Werfen des Brautstraußes verkündet haben soll. Historisch zu belegen ist dieser Fluch bestenfalls indirekt durch die Aufzeichnungen Maries Gräfin Larisch, der Tochter des erstgeborenen Sohnes Ludovikas, Herzog Ludwig in Bayern, der eine morganatische Ehe mit der Schauspielerin Henriette Mendel einging. Da die Aufzeichnungen der Gräfin Larisch allgemein als wenig verlässlich gelten, ist diese, mehr als hundert Jahre nach der eigentlichen Hochzeit publizierte Behauptung in Zweifel zu ziehen. 3
Von Bedeutung ist hingegen Ludovikas Zuneigung zu Dom Miguel von Bragança, welche Erwiderung fand und allgemein als tief und natürlich angesehen wurde. Die erste Begegnung der beiden fand in Wien statt, wo Dom Miguel noch um die Hand der bayerischen Herzogin anhielt. Die Ehe kam jedoch nicht zustande, auch nicht nach der Krönung Dom Miguels zum König von Portugal im Jahre 1828. Der Bote mit dem Heiratsgesuch traf erst fünf Tage nach der Verheiratung Ludovikas mit Max an entsprechender Stelle ein. Ludovika selbst wurde das Schreiben zudem verheimlicht. 4
Eigenschaften beider Elternteile lassen sich in Elisabeths Wesen durchaus finden. Während die Abneigung der österreichischen Kaiserin gegenüber Hof und Hofleben, sowie ihre Liebe zum Pferdesport allgemein der väterlichen Seite zugeschrieben werden, hegte Ludovika eine tiefe Zuneigung den Bergen gegenüber und verbrachte viel Zeit auf ausgedehnten Wanderungen. So ist bekannt, dass die resolute Herzogin sich bereits kurze Zeit nach einer Niederkunft wieder auf eine ihrer ausgedehnten Bergtouren begab. Auch Kaiserin Elisabeth sollte – nicht immer zur Freude ihrer Hofdamen - noch viele Jahre später entsprechende Wanderungen antreten.
Ohne Zweifel verbrachte die spätere Kaiserin von Österreich eine, gemessen an ihrem Stand, relativ ungezwungene Kindheit, wenn auch nicht so sorgenfrei wie in diversen Produktionen der Dramaturgie wegen gerne beschrieben.