Die morganatische Ehe- Wenn Liebe siegt

Zeit seines Lebens stand Kaiser Franz Joseph unstandesgemäßen Ehen im Hause Habsburg ablehnend gegenüber. Wer diesen Schritt dennoch wagte, wurde seiner familiären Rechte beraubt und nicht selten aus Österreich verbannt. Vor allem im 19. Jahrhundert nahmen mehrere junge Habsburger diesen steinigen Weg auf sich, nicht ohne öffentliche Debatten und Skandale zu produzieren. Sieht man allerdings etwas genauer hin wird schnell klar, dass Kaiser Franz Josephs Umgang mit dieser Problematik durchaus differenziert war, und so manch strikter Gegner der "Ehe zur linken Hand" selbst auf eine solche Abstammung zurückzublicken hatte. Höre in dieser Folge mehr über unstandesgemäße Verbindungen im Hause Habsburg und ihre vielfältigen Schicksale.
die morganatischen Ehen in unserer Folge
Die morganatischen Ehen im Hause Habsburg © Porzellanfuhre

Der Umstand, dass die Redewendung „Wo die Liebe hinfällt“ auch auf Mitglieder des Hauses Habsburg Anwendung fand, dürfte vor allem dem, stets im pragmatischen und dynastischen Sinne handelnden Kaiser Franz Joseph so manche schlaflose Nacht bereitet haben. Liebschaften zwischen Mitgliedern des Kaiserhauses und unstandesgemäßen Personen, wie man nicht ebenbürtige Partner und Partnerinnen auch zu nennen pflegte, wurden zumeist toleriert, solange das Verhältnis inoffiziell blieb und über den Charakter eines flüchtigen Abenteuers, bestenfalls einer Affäre, nicht hinausging. Derartige Verbindungen lassen sich für so manchen Erzherzog finden, in seltenen Fällen, wie bei Erzherzogin Marie Louise, die nach der Abkehr von Napoleon I. eine Beziehung mit dem Grafen Adam Neipperg einging, auch für weibliche Mitglieder des Kaiserhauses. Ließen sich jedoch Anzeichen ernsthafter Absichten erkennen, kristallisierte sich gar der Wille zum Aufbau einer dauerhaften Beziehung heraus, stand rasch das Schreckgespenst einer morganatischen Ehe im Raum – verbunden mit persönlichen und rechtlichen Komplikationen, dem Verzicht auf Privilegien, und nicht selten einem öffentlichen Skandal. 

Tatsächlich traten innerhalb der Familie Habsburg gerade in der franzisco-josephinischen Ära deutlich mehr morganatische Ehen auf als in den langen Jahrhunderten davor, und vor allem die Affäre rund um den widerspenstigen Thronfolger Franz Ferdinand, welcher mit der Heirat einer Gräfin Sophie Chotek zwar eine Ehefrau, aber keine Kaiserin an seiner Seite führen durfte, machte das überaus komplexe System rund um Zeremoniell, Protokoll und habsburgisches Hausgesetz überdeutlich. 

Man muss schon in das Jahr 1557 zurückgehen um der ersten, urkundlich bezeugten, morganatische Eheschließung im Hause Habsburg zu begegnen. Erzherzog Ferdinand, Sohn Kaiser Ferdinands I., später als Ferdinand II., Landesfürst von Tirol bekannt, heiratete die Augsburger Patriziertochter Philippine Welser heimlich, und unterwarf sich und seine unstandesgemäße Gattin somit einem Procedere, welches auch noch hunderte Jahre später in seinen Grundzügen Gültigkeit behalten sollte. Jahrelanges Warten auf Anerkennung und Legitimation, strikte Geheimhaltung, der Verzicht ihrer Nachkommen auf familiäre Privilegien. Im Falle Erzherzog Ferdinands und Philippine Welsers wendete sich das Blatt im Jahre 1561 durch die nachträgliche väterliche Anerkennung der Verbindung zum Guten, 1576 schließlich hob Papst Gregor XIII. die Pflicht zur Geheimhaltung auf. 1

Auch Erzherzog Johann, jüngster Bruder Kaiser Franz II./I. hatte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammen mit der Postmeisterstochter Anna Plochl aus Aussee auf den steinigen Weg der Anerkennung ihrer Verbindung begeben. Zwar zeigte sich der Kaiser dem Vorhaben seines Bruders gegenüber nicht völlig verschlossen, doch mangelte es dem Monarchen an Entschlusskraft, zumal das System Metternich derartige Verbindungen nicht sonderlich goutierte, und Zweifel an der Loyalität Johanns geäußert wurden.  Die Postmeisterstochter musste auf diesem Wege Bespitzelungen und Verleumdungen über sich ergehen lassen, auch von Seiten Annas Vater, Jakob Plochls, der die Reputation seiner ältesten Tochter zunehmend schwinden sah, stieg der Druck. Als „Hausfrau“, wie man es damals nannte, arbeitete Anna schließlich offiziell als Wirtschafterin in Vordernberg, wo Erzherzog Johann ein Radwerk betrieb, geraume Zeit später auch am Gut Brandhof, welches ebenfalls vom Johann bewirtschaftet wurde. 

Nach langen Jahren des Zuwartens schließlich heiratete Erzherzog Johann Anna Plochl auf Gut Brandhof mit der Zustimmung des Kaisers im Jahre 1829, doch in aller Heimlichkeit. Die Hochzeit selbst wurde auf Mitternacht gelegt, nur zwei Trauzeugen – er handelte sich um vertrauenswürdige Freunde Johanns – und der Geistliche waren anwesend. Eine standesgemäße Hochzeitsfeier fiel aus, nach wie vor war eine öffentliche Bekanntgabe der Verbindung undenkbar. Erst im Jahre 1833 durfte sich Erzherzog Johann mit seiner Frau zeigen. Eine Ernennung Anna Plochls zur Freifrau von Brandhofen folgte. Es war bereits Kaiser Franz Joseph, der Anna im Jahre 1850 zur Gräfin von Meran ernannte, fünf Jahre, nachdem ihr Sohn Franz durch das Bestreben Erzherzog Johanns zum Grafen von Meran geworden war. 

Ähnlich wie im Falle Ferdinands II. war auch diese Verbindung geprägt von jahrelangen Wartezeiten und strenger Geheimhaltung. Es ist anzunehmen, dass die äußerst schwierigen Umstände dieser Liebe belastend auf die Paare gewirkt haben mussten, immer wieder wird von körperlichen Beschwerden Annas ohne fassbare Ursache geschrieben, die teils harschen Verunglimpfungen durch den Wiener Hof, die zahlreichen Verleumdungen, dürften ein Übriges dazu beigetragen haben. 2

Erzherzog Johann Salvator, Erzherzog Leopold Salvator, Erzherzog Heinrich, Erzherzog Franz Ferdinand, der Thronfolger, aber auch Erzherzogin Luise von Toskana, und letztlich auch Erzherzogin Elisabeth Marie, die Tochter Kronprinz Rudolfs – sie alle stehen für erfolgreiche Ausbrüche aus dem starren und restriktiven System Habsburg, welches auch weitreichende Eingriffe in das Privatleben der Familienmitglieder gestattete. Und sie alle hatten Kaiser Franz Joseph in dem Bestreben, den Menschen ihres Herzens heiraten zu können, als Kontrahenten. 

Mit Ausnahme Erzherzog Heinrichs (ein Enkel Kaiser Leopolds II.), welcher im Jahre 1868 die Sängerin Josephine Hofmann ohne Einwilligung des Kaisers ehelichte, bedeuteten derartige Entscheidungen in aller Regel den Verlust sämtlicher Funktionen, Privilegien und Titel, sowie den Ausschluss aus dem Familienverband. Warum Kaiser Franz Joseph seine Entscheidung im Jahre 1871 überraschend revidierte und Erzherzog Heinrich wieder in den Schoß der Familie aufnahm, ist nicht vollständig geklärt. Jedenfalls blieb dieser kaiserliche Sinneswandel eine Ausnahme, andere Erzherzöge hatten mit derartigen Gesten der Versöhnung nicht zu rechnen.  Besonders negativ dürfte Kaiser Franz Joseph Erzherzog Leopold Salvator in Erinnerung geblieben sein, dem unter dem bürgerlichen Namen Leopold Wölfling ein wechselhaftes Schicksal zuteilwurde, welches in Episode Nr. 26 unsere Podcasts (Ein kaiserlicher Greißler in Kaisermühlen - Die bewegte Geschichte von Erzherzog Leopold Ferdinand) ausführlich beschrieben wird.  

Auch Leopolds Schwester, Erzherzogin Luise von Toskana, die als Kronprinzessin Sachsens für einen der größten Skandale innerhalb des deutschen Hochadels zu Beginn des 20. Jahrhunderts sorgte, hatte von Kaiser Franz Joseph nicht mit Unterstützung zu rechnen, als ihre Absicht, den Sprachlehrer ihrer Kinder heiraten zu wollen, ruchbar wurde (Siehe Episode Nr. 46: Luise von Toskana – die verstoßene Kronprinzessin). Erzherzog Johann Salvator wiederum, ein in vielerlei Hinsicht äußerst begabter Habsburger, legte Titel und militärischen Ränge gleich vorsorglich ab, um als Johann Orth mit seiner Braut Millie Stubel ein Leben frei von familiären Konventionen und Restriktionen führen zu können. Sein bis heute nicht vollständig aufgeklärter Tod in den Gewässern vor Südamerika dürfte Kaiser Franz Joseph persönlich nahe gegangen sein. (Siehe Episode Nr. 52: Johann Salvator - der rebellische Erzherzog).

Verfolgt man das vorhandene Quellenmaterial gewissenhaft, dann darf Kaiser Franz Joseph die Rolle des pragmatisch-erzkonservativen Bollwerks gegen unkonventionelle Eheschließungen vielleicht nicht unumschränkt zugeschrieben werden, wie der Fall Elisabeth Seefried zeigt. Erzherzogin Elisabeth war die erste Tochter Prinz Leopolds von Bayern und Erzherzogin Giselas, somit das erste Enkelkind Kaiser Franz Josephs und Kaiserin Elisabeths. Nach einer offenbar bereits länger andauernden Romanze heiratete Elisabeth im Jahre 1893 den nicht standesgemäßen evangelischen Freiherrn Otto Ludwig Philip von Seefried auf Buttenheim heimlich in Genua. Erst 1817 war die Familie, aus der mehrere hohe Militärs hervorgegangen waren, nobilitiert worden, im Jahre 1861 kam noch ein Grafentitel hinzu. Auch diese Verbindung wurde in gewohnter Weise heimlich geschlossen, mit einem veritablen Streit und einem Skandal im Anschluss. Otto von Seefried erfuhr im Zuge seines militärischen Dienstes eine Versetzung, vor allem von bayrischer Seite dürfte dieser Verbindung heftiger Widerstand von Elisabeths Vater, Prinz Leopold, und ihrem Großvater, Prinzregenten Luitpold, entgegengesetzt worden sein. 

Wie folgender Artikel aus dem Vorarlberger Volksblatt vom 10. Dezember 1893 uns glauben machen möchte, sah man die Angelegenheit in Österreich deutlich entspannter:

„Was Anfangs ein leichter Flirt gewesen war, erwuchs zu so einer ernsten, tiefen Neigung, dass die Prinzessin zugedachte Werbungen um ihre Hand ablehnte, und mit aller Entschiedenheit standhaft erklärte, nur mit ihrem Erkorenen den Lebensbund schließen zu wollen. 

Bei gelegentlichem Zusammentreffen der Prinzessin mit dem Leutnant war die Liebe stets gewachsen und erreichte ihren Höhepunkt, da der Letztere eine Art Lebensretter wurde, als die Pferde des Wagens, in welchem die Prinzessin Gisela mit ihrer Tochter sich befanden, scheuten, durchgingen und von dem gerade wachhabenden Baron Seefried zum Stehen gebracht wurden. 

Die Mutter, die ja selbst eine Liebesheirat geschlossen hatte, stand ganz auf der Tochter Seite und zog allmählich auch den Vater hinüber, wie es im bürgerlichen Leben in der Regel ja auch immer geschieht. Sie soll auch ihren Vater, den Kaiser von Österreich, gewonnen haben, der in Hinblicke auf das Ende seines unglücklichen Sohnes, des Kronprinzen Rudolf, und auf das Geschick Erzherzog Johanns (Johann Orth) seine Zustimmung gab. 

Man sagt, der Kaiser von Österreich sei nun beim Prinzregenten der Fürsprecher für die tiefbekümmerte Enkelin geworden und schließlich habe er ja gesagt, doch die nahe bevorstehende Heirat blieb ein Geheimnis.“ 3

Neben dem Umstand, dass sich dieser Artikel in Hinblick auf die im Jahre 1893 bestehende Pressezensur unverblümt dem Tabuthema Mayerling widmet, ist die Position Kaiser Franz Josephs in der Sache Seefried als geradezu konträr dargestellt. Möglicherweise mag neben Prinzessin Gisela auch Kaiserin Elisabeth ihren Einfluss geltend gemacht haben, vielleicht betrachtete Kaiser Franz Joseph die Angelegenheit auch primär als bayrische. Die Ehe jedenfalls sollte sich als glücklich erweisen, das Paar bezog seinen Wohnsitz in unmittelbarer Nähe des Schlosses Schönbrunn und durfte auf gelegentlichen Besuch des Kaisers hoffen. Elisabeth Seefried wurde Mutter von fünf Kindern. Sie starb im Jahre 1957 mit 83 Jahren.  

Gerade das 19. Jahrhundert brachte eine verhältnismäßig hohe Anzahl an morganatischen Ehen hervor, die von Kaiser Franz Joseph durchaus unterschiedlich gewertet wurden. Eine vollständige Rehabilitierung und Wiedereinsetzung des zunächst verstoßenen Familienmitglieds blieb die Ausnahme, sehr viel öfter folgte ein dauerhafter Verzicht auf Titel, Ränge und Funktionen, was allerdings nicht zwingend mit persönlichen Antipathien des Kaisers einhergehen musste, wie der Fall Johann Orth nahelegt. Einen Sonderfall stellte das Bestreben Erzherzogs Franz Ferdinands dar, in seiner Funktion als Thronfolger eine weit unter seinem Stand rangierende Gräfin heiraten zu wollen. Seine einzigartige Stellung innerhalb der Familie mag ihm dabei eine Stütze gewesen sein, persönliche Sympathien zwischen Franz Joseph und Franz Ferdinand dürfte die Aktion hingegen kaum gefördert haben.  

Aus Briefen Kaiser Franz Josephs an seine kaiserliche Gattin ist bekannt, dass der in Heiratsdingen als überaus streng wahrgenommene Monarch an den „Klatsch und Tratsch Geschichten“, wie sie andere Fürstenhäuser hervorbrachten, durchaus Interesse zeigte und auch belustigt reagierte. Vielleicht ist aus diesem Zusammenhang auch sein Handeln im Falle Elisabeth Seefried ableitbar, da es sich bei der unstandesgemäßen Ehe seiner Enkeltochter letztlich um eine bayrische Angelegenheit handelte, die für das Haus Habsburg kaum Bedeutung haben konnte.   

  • 1

    Gunter Bakay, Philippine Welse: Eine geheimnisvolle Frau und ihre Zeit, Haymon Verlag, 2013.

  • 2

    Erzherzog Johann, Der Brandhofer und seine Hausfrau, Czernin Verlag.

  • 3

    Vorarlberger Volksblatt vom 10. Dezember 1893