Alfred und Titania- Kaiserin Elisabeths obsessiver Verehrer

In diesem Beitrag widmen wir uns einem wenig bekannten Kapitel in Kaiserin Elisabeths Leben. Durch die merkwürdige Rolle des Alfred Gurniak, Edler von Schreibendorf, gewinnen wir Einblicke in den Charakter einer Frau, die gemeinhin als unnahbar und der Welt entrückt galt.

In wohl jeder Standard-Biographie über Elisabeth ist sie enthalten - jene Episode aus dem Jahre 1874, in welcher Friedrich Pacher der Kaiserin von Österreich auf einer Faschings Redout ungewöhnlich nahe kam. KennerInnen der Materie lassen an dieser Stelle gerne den gelben Domino einfließen, Freunde eher pikanter Geschichten sehen in dieser Ballnacht die Möglichkeit zu Anrüchigem und Skandalösem. 

Immerhin war es die Kaiserin selbst, die den kleinen Ausflug an jenem Faschingsdienstag in Form eines Gedichts verarbeitete und damit eine nächtliche Kutschenfahrt zusammen mit einem völlig fremden Mann ins Spiel brachte. Eine kaiserliche Porzellanfuhre also? Die nüchterne Geschichtsforschung sieht das anders. Ida von Ferenczy, die als Anstandsdame im roten Domino an der Seite ihrer Kaiserin ausharren musste, beschreibt auch die letzten Momente dieser eigenwilligen Ballnacht im Detail und durchaus überzeugend. Dass Elisabeth alleine mit einem fremden Mann in eine Kutsche gestiegen wäre, um in der Dunkelheit ins Ungewisse zu entschwinden, nimmt sich zwar romantisch aus, ist in der Tat aber wenig wahrscheinlich. Selbst wenn man den Umstand noch mit einbezieht, dass der kaiserliche Gemahl zu jenem Zeitpunkt im fernen St. Petersburg weilte, bleibt wenig verwertbares zurück, außer einem typischen Gedicht der Kaiserin. Und das gilt es zu interpretieren.

Trotzdem wirft diese Episode ein interessantes Bild auf die Kaiserin von Österreich, denn entgegen diverser Behauptungen fungierte nicht nur Pacher als treibende Kraft in dem sich nun entspinnenden Briefwechsel, der mit großen Abständen insgesamt elf Jahre andauern sollte. Pacher, der die geheimnisvolle Unbekannte bereits während des Balls 1874 als Kaiserin von Österreich erkannt hatte und Elisabeth auch hinter den anonym gehaltenen Briefen richtig vermutete, reagierte zunächst interessiert und wohl auch amüsiert in seinen Schreiben, bewahrte sich allerdings einen gewissen Abstand zu ihrer neckischen, teils provokativen Art.1

Im letzten Brief Friedrich Pachers allerdings wird der Ton deutlich rauer, geradezu grob. Der Ehemann und Vater zweier Töchter empfand die Scharade rund um ein Faschingsfest vor mehr als zehn Jahren nur noch als ermüdend und peinlich. Die Kaiserin von Österreich bekam (vielleicht das erste Mal in ihrem Leben) eine deutliche Abfuhr und ließ ihrer Wut in einem Schmähgedicht freien Lauf. Gelesen hat Fritz Pacher die Verse zu Lebzeiten Elisabeths freilich nicht.

Ihre Briefe aber blieben, trotz Aufforderung zur Rückgabe durch die Kaiserin, in Pachers Besitz und fanden ihren festen Platz in Conte Cortis berühmter Elisabeth Biographie. Corti war es auch, der Pacher die Echtheit der Briefe letztlich bestätigen konnte. Was blieb, waren also die in Tinte gefassten Launen einer Kaiserin.2

Als Protagonist der wohl eigenwilligsten Episode dieser Art  präsentiert sich noch heute die Figur des Alfred Gurniak, Edler von Schreibendorf. Gurniak opferte "seiner" Kaiserin dabei nicht nur sein gesamtes Vermögen, seine Verlobung und eine Unmenge an Zeit, sondern auch ein gutes Stück seines Seelenheils.
Im Jahr 1885 dürfte Alfred die Kaiserin auf dem Hofburgball (aus der Ferne) das erste Mal gesehen und sich unsterblich in sie verliebt haben. Was folgte, waren Jahre inbrünstiger Verehrung, die in schwülstigen Liebesbriefen ebenso Ausdruck fanden wie in einer regen Reisetätigkeit. Denn Gurniak begann der Kaiserin zu folgen, tauchte in Wien, Ungarn oder auch Rumänien immer wieder in unmittelbarer Nähe zu Elisabeths Reisezielen auf und entwickelte ein geradezu obsessives Verhalten. Um die Kaiserin von Österreich zu beeindrucken, betrieb er zudem einen überaus aufwendigen Lebensstil, der ihn an den Rand des finanziellen Ruins brachte.

Begegnet man Alfred Gurniak heute in diversen Publikationen, so wird er nicht selten als geistig abnorm dargestellt und diese Episode im Leben der Kaiserin als kuriose Fußnote abgetan. Tatsächlich aber verarbeitete Elisabeth Gurniaks Präsenz  in Form mehrerer Gedichte, die unter dem Titel  "Titania und Alfred - Eine romantische Erzählung in Reimen und Briefen" erhalten geblieben sind. Wie so oft, tritt Elisabeth dabei als Feenkönigin Titania in Erscheinung, an einigen Stellen verwandelt sie sich auch in die Hexe Dämona. Gurniak nimmt zumeist die Rolle des jungen, lärmenden, ungestümen Esels ein.3

Obwohl die Rollenverteilung klar definiert zu sein scheint, erschöpft sich dieser Kontakt nicht - wie häufig dargestellt- in spärlichen Gunstbeweisen Elisabeths in Form von Blumen, Büchern oder Briefen, die sie Gurniak über eine Hofdame zukommen lässt.
Spätestens im Sommer 1888 kommt es auch zu längeren, persönlichen Treffen, die sich bei aller gebotenen Vorsicht nicht nur aus Elisabeths verklausulierten Versen herauslesen lassen.4

Auch die erhalten gebliebenen Briefe Alfred Gurniaks sprechen von persönlichen Begegnungen in abgeschiedener Umgebung.5

Hatte Elisabeth Spaß daran, einen liebeskranken, deutlich jüngeren Mann zu gängeln und in trügerischer Hoffnung zu wiegen?
In dem Gedicht “Gastuna” (Gastein) wird die Kaiserin in Bezug auf deren beider Absichten deutlicher:

'Der Jüngling aber sinkt ihr zu Füssen:
“Nur so, Titania, darf ich dich begrüßen:
Ich bete dich ja an und seit zwei Jahren
hab rastlos ich die Welt nach dir durchfahren.
Seit mich im Festsaal dein Blick getroffen,
bist du mein Schicksalsstern, mein Schmerz, mein Hoffen.
O sieh, ich hebe schwörend meine Hände,
dass meine Liebe treu und ohne Ende!”
 

Titania spricht:
"Was du mir just vorgetragen,
Sagt mir absolut nicht zu;
In der Treue Fesseln schlagen, 
Willst die freie Liebe du?
Treue, Liebe ohne Ende,
O wie langweilig klingt das!
Lass sie sinken deine Hände,
samt dem Schwur, den ich vergaß.'6  

Trotz dieser unterschiedlichen Zugänge verbringt man offenbar Zeit miteinander:


'Die Tage vergehen,
die Stunden enteilen,
sich täglich zu sehen
die beiden verweilen,
doch quält sie sein Flehen
mit spöttischen Pfeilen.
Er schmückt sie mit Sprossen
der Tannen Geschmeide,
Er raubt ihr die Rosen
der Alpen vom Kleide,
Sie wehr seinem Kosen
und lacht seiner Eide.
Sie wandeln im Schatten
der tiefgrünen Tannen,
Sie ruhen auf Matten,
Die Lenzlüfte spannen
Im Flussbette waten
Sie heiter von dannen.'7
 

Als diese Episode bald darauf ein abruptes Ende fand und auch Kaiser Franz Joseph davon erfuhr, drohte Gurniak in seinen Schreiben unverhohlen mit Selbstmord.
“Ich werde bald im Grabe liegen, so weit hat mich diese Liebe gebracht”, klagte der nun verstoßene Kavalier und mischte Vorwürfe unterschiedlichster Art in sein Schreiben. Neben den emotionalen Untiefen, die er durchqueren musste, waren es vor allem aber finanzielle Aspekte die er Elisabeth vorhielt:

“Die Liebe und Sehnsucht machten mich schwach. Ich machte Schulden”, klagte Gurniak und sparte in weiterer Folge nicht mit Details. Sein “extrem elegantes Auftreten” bezeichnete Alfred nun als “unsinnige Idee, die Unsummen verschlungen habe”. Alfred Gurniak, gesammelte Briefe, unpubliziert
Er sprach von Freunden, die “sein gutes Herz missbraucht haben” und beklagte seinen finanziellen Ruin.

Ob Elisabeth letztlich auf Gurniaks sehr deutliche Forderungen nach Kompensation einging, ist unklar. Auf einem erhalten gebliebenen Briefumschlag, welcher den Titel “Alfreds Briefe” trägt, ist eine Summe von 25000 Gulden vermerkt. Dieser Betrag wurde jedoch mit Rotstift durchgestrichen und die Worte “Tat es nicht” darüber gesetzt.8  

Interessanterweise fanden sich Gurniaks Briefe ausgerechnet in jener berühmten Kassette, die den Schweizer Behörden von Elisabeths bayerischen Nachfahren zur Aufbewahrung mit der Bitte übergeben worden war, selbige erst sechzig Jahre nach dem Tod der Kaiserin zu öffnen. Einer Veröffentlichung der darin enthaltenen Gedichte - und eben jener Briefe - wurde von Seiten der Schweizer Behörden allerdings nur sehr zögerlich entsprochen. 9

“Es erhebt sich die Frage, ob die Veröffentlichung dieser Schriften dem Andenken der Kaiserin nicht eher abträglich sein könnte…” kommentierte die zuständige Behörde die Willenserklärung Elisabeths. Letztlich wurden nur die Gedichte der Kaiserin freigegeben. Gurniaks Briefe, die man offenbar als zu kompromittierend empfand, blieben bis heute unveröffentlicht. 

Elisabeths Intensionen, warum ausgerechnet diese Briefe, eines sich in Raserei befindlichen Mannes, wie Gurniak es selbst ausdrückte, einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden sollten, bleiben unbekannt. 
 

  • 1Elisabeth- Kaiserin wider Willen, Brigitte Hamann, 1998
  • 2Elisabeth “Die seltsame Frau”, Egon Cäsar Conte Corti, 1934
  • 3Elisabeth- Kaiserin wider Willen, Brigitte Hamann, 1998
  • 4Das poetische Tagebuch, Brigitte Hamann, 1984
  • 5Alfred Gurniak, gesammelte Briefe, unpubliziert
  • 6Das poetische Tagebuch, Brigitte Hamann, 1984
  • 7Das poetische Tagebuch, Brigitte Hamann, 1984
  • 8Elisabeth- Kaiserin wider Willen, Brigitte Hamann, 1998
  • 9Korrespondenz der Schweizer Behörden von Oktober 1951 mit Ludwig, Herzog von Bayern