„Der reizende Kopf passte zu dem reizenden Körper“, vermerkte Otto Corvin im Jahre 1870 bei dem Versuch die äußerlichen Vorzüge jener jungen Frau einzufangen, die sich sein Freund Prinz Felix zu Salm in den Kopf gesetzt hatte. Zu hoch schien das Risiko, sich mit dieser unstandesgemäßen und überstürzten Heirat in Teufels Küche zu bringen. Als Felix Otto gefragt hatte, ob dieser für ihn als Trauzeuge fungieren könnte, hatte Corvin rundweg abgelehnt.
„Obwohl ihr Gesicht keineswegs regelmäßig schön genannt werden kann, so möchte man es durchaus nicht anders wünschen als es ist“, fuhr Otto in seiner Beschreibung fort. „Das beinahe ganz schwarze, leicht gelockte Haar fällt auf eine glatte, regelmäßige, ein wenig zu sehr kugelförmig gewölbte Stirne. Das schön geformte Gesicht ist durch ein Paar großer, hellbrauner, von schön geschweiften Brauen überwölbter Augen belebt, deren eigentümlichem Zauber selten jemand widerstanden hat.“ 1
Vor allem der letzte Satz sollte für Leben, Fortkommen und Renommee des preußischen Prinzen zu Salm- Salm in der neuen Welt eine gewisse Rolle spielen. Der von pekuniären Unannehmlichkeiten wie von amourösen Wirrnissen ebenso gebeutelte Prinz hatte „Good old Europe“ erst vor kurzem verlassen, um in Nordamerika ein neues Leben fern seiner Gläubiger zu beginnen. Und nun war er im Begriff die nächste Unüberlegtheit zu begehen. Hart hatte sich der jüngste Sohn des Fürsten Wilhelm Florentin Ludwig Karl zu Salm- Salm den Ruf des schwarzen Schafes innerhalb der Familie erarbeitet, von Kindesbeinen an galt er durch sein Verhalten als eigenwillig und nur wenig kompatibel mit den dynastischen Verpflichtungen seiner edlen Herkunft. Felix galt aber auch als guter Soldat und Offizier, im Krieg Schleswig-Holsteins gegen Dänemark erhielt er 1849 eine Auszeichnung wegen Tapferkeit, 1859 kämpfte er auf Seiten Österreichs in den verlustreichen, großen Schlachten gegen Italien und Frankreich. Hatte er die königlich preußische Armee wegen exorbitant hoher Schulden und einem gewissen Hang zu Duellen verlassen müssen, wurde ihm wenige Jahre darauf auch von österreichischer Seite nahegelegt, seinen Dienst unter den Habsburgern zu quittieren. Da auch von der Familie nichts mehr zu erwarten war, folgte Felix einem in der Mitte des 19. Jahrhunderts spürbaren Trend, Europa den Rücken zu kehren. Otto Corvin, der selbst in die USA emigriert war, teilte die Gruppe europäischer und vor allem deutscher ehemaliger Armeeangehöriger in Nordamerika in zwei Gruppen ein: Einerseits in politische Flüchtlinge, namentlich Revolutionäre, derer es in den 1850er und 1860er Jahre durchaus viele gab, und andererseits in ehrlos gewordene Soldaten und Offiziere, die aus persönlichen Gründen, nicht selten wegen Spielschulden oder kompromittierenden Affären, das Weite zu suchen hatten. Mit Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs 1861 erhielten viele dieser Auswanderer ihre Bestimmung zurück, verpflichteten sich in der amerikanischen Armee auf Zeit und fanden so ihr Auslangen. Auch Felix Salm ging diesen Weg, da er jedoch der einzige Prinz unter all den Soldaten war, haftete ihm bald eine gewisse Popularität an. 2
Noch viel populärer allerdings sollte in jenen Jahren das gemeinsame Leben des so ungleichen Paares werden, der Eheleute Felix und Agnes zu Salm- Salm. Es mag eine Vielzahl an Menschen gegeben haben, die dieser unkonventionellen Verbindung keine großen Chancen zurechneten, der preußische Prinz und die republikanische Amerikanerin, der verstoßene Aristokrat und die undurchsichtige Schauspielerin. Tatsächlich ist über die frühen Jahre Agnes Leclerq Joys, wie sie mit Mädchennamen hieß, nicht viel in Erfahrung zu bringen. Amerikanische Quellen verorten sie in den Reihen von Zirkusartisten, schreiben ihr Ambitionen als Schauspielerin zu und merken an, dass sie aus nicht bekannten Gründen einige Zeit auf Cuba verbracht hat. Als gesichert hingegen gilt, dass Agnes entfernt mit Abraham Lincoln verwandt war und auch indigene Vorfahren hatte. Felix und Agnes heirateten heimlich, ohne Wissen und Einverständnis ihrer Familien. Ihr nun gemeinsames Leben sollte sich zu einem einzigen Abenteuer entwickeln. 3
Den amerikanischen Bürgerkrieg machten sie über weite Strecken gemeinsam mit, wobei Agnes es sich nicht nehmen ließ, ihren Mann ins Feld zu begleiten und im Lazarett zu arbeiten.1866 trat Felix in die Dienste Kaiser Maximilians von Mexiko, dessen militärische Möglichkeiten im Zuge eines blutigen Bürgerkriegs nach Abzug der verbündeten französischen Truppen bereits stark eingeschränkt waren. In seinen Erinnerungen beschrieb Felix Salm den Widerstand gegen das anrückende republikanische Heer, die Gefangennahme des Kaisers und die Aburteilung Maximilians zum Tode. Auch Felix Salm geriet in Gefangenschaft, konnte durch das Engagement seiner überaus geschickt verhandelnden Frau jedoch gerettet werden. 4
Zurück in Europa verpflichtete sich Felix nochmals, um im Deutsch-Französischen Krieg zu kämpfen, in welchem er 1870 in der Schlacht von Gravelotte fiel. Agnes, die ihren Mann auch diesmal bis auf die Schlachtfelder begleitet hatte, verbrachte nun große Teile ihres restlichen Lebens in Europa, lebte abwechselnd in der Schweiz, Italien und Deutschland. Eine zweite Ehe mit einem englischen Edelmann sollte nicht von Dauer sein. Sie setzte sich weiterhin für den Auf- und Ausbau von Armeehospitälern sowie für die Verbesserung der Zustände in Lazaretten ein. Prinzessin Agnes zu Salm Salm, die ein überaus abenteuerliches und eigenwilliges Leben an unterschiedlichsten Kriegsschauplätzen der Welt verbracht hatte, starb am 21. Dezember 1912 in Deutschland. Sie galt als intelligent, eloquent, selbstsicher und kämpferisch, verhandelte persönlich mit einigen der mächtigsten Männer ihrer Zeit, und trat trotz ihres zierlichen und attraktiven Äußeren als ernstzunehmende Gegnerin am Verhandlungstisch auf. Noch heute gilt Prinzessin Agnes zu Salm- Salm als eine der schillerndsten Frauen ihrer Zeit.