Adolf Hofrichter- Der POTENZielle Giftmörder

Im November 1909 verschickte Adolf Hofrichter mehrere vergiftete Briefe in der Absicht knapp ein Dutzend Menschen zu ermorden. Eine Person starb. Trotz akribischer Ermittlungen und des enormen medialen Interesses konnte dem Angeklagten die Tat nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Verurteilt wurde Adolf Hofrichter trotzdem. Höre/Lese hier mehr über einen der spektakulärsten Kriminalfälle des frühen 20. Jahrhunderts, ein seltsames Verbrechen und die Grenzen des bestehenden Rechtssystems.
Hofrichter vor dem Kriegsgericht
Oberleutnant Hofrichter vor dem Kriegsgericht © ÖNB

„Die vorzeitige Abnahme der Mannbarkeit ist eine Krankheit des neuen Jahrhunderts. Diese zu ergründen, Gegenmittel zu schaffen, war eine notwendige Arbeit erster, ärztlicher Kapazitäten. Aufgrund eingehender Versuche gelang es, endlich ein Mittel zu finden, welches, ohne der Gesundheit zu schaden, die männliche Potenz bedeutend erhöht.“  

Einzunehmen war das neue „Stärkungsmittel“ laut Gebrauchsanweisung schlicht mit einem Schluck kalten Wassers, umgehend allerdings, bevor das Präparat an der Luft seine kolossale Wirkung einzubüßen Gefahr lief.  Und diese Wirkung, so wurde in dem Schreiben abschließend hinzugefügt, sei wahrlich „verblüffend“. 

 Als Absender dieser pharmazeutischen Neuheit ganz besonderer Art trat ein gewisser Charles Francis auf, der Brief war als Werbegeschenk getarnt und die kleine Kartonschachtel mit den beiden unauffälligen, weißen Kapseln darin als Potenzmittel angepriesen.   

Am 14. November 1909 traf Oberleutnant Adolf Hofrichter um 6 Uhr morgens mit der Westbahn von Linz kommend in Wien ein, begab sich bald darauf zur Stadtbahnhaltestelle Westbahnhof und geriet dort in Konflikt mit zwei ihm unbekannten Damen, welche sich durch Hofrichters Hund gestört fühlten. So zumindest beschrieb es der Offizier dem Hauptmannauditor Kunz einige Wochen später im Zuge der gerichtlichen Untersuchung.  

„Jene beiden Damen“, fuhr der Oberleutnant fort, „denen mein Hund zwischen die Beine gelaufen war, können also bezeugen, wo ich zu gegebener Zeit gewesen bin. Es wäre von großer Wichtigkeit, die Aussagen dieser beiden Damen zu hören!“ 

Gefunden wurden die Frauen trotz intensiver Suche nicht, die Sache blieb so mysteriös wie die Giftbriefe selbst. Warum war Hofrichter nach Wien gefahren? Was hatte er zu jenem Zeitpunkt, als die tödlichen Postsendungen im 6. Wiener Gemeindebezirk eingeworfen wurden, gemacht? Weshalb hatte er darauf bestanden, den langen Weg in die Hauptstadt allein anzutreten? Innerhalb kürzester Zeit ergoss sich eine wahre Flut an Indizien über den des Mordes angeklagten Offizier, und immer noch kamen neue Verdachtsmomente hinzu.  

An jenem 14. November hatten mehrere Briefe mit Giftkapseln und einem eigenwilligen Begleitschreiben den Weg in einen Postkasten in unmittelbarer Nähe des Westbahnhofs gefunden, zu einem Zeitpunkt also, als Hofrichter sich gerade in Wien aufhielt. Durchsuchungen seiner Wohnung und seines Büros in Linz förderten bald darauf Schreibpapier, kleine Kartonschachteln und leere Oblatenkapseln zutage, wie sie für die Anfertigung der tödlichen Sendungen Verwendung gefunden hatten. Ein Vergleich der Handschriften im Begleitschreiben der Giftsendungen mit älteren Schriftproben Hofrichters ergaben zudem auffallende Ähnlichkeiten.  

Hatte Oberleutnant Adolf Hofrichter also den Versuch gemacht knapp ein Duzend Offiziere der österreichischen Armee zu ermorden, um selbst in den Generalstab aufzurücken?  Einer der betroffenen Männer, Hauptmann im Generalstab Richard Mader, war der Versuchung, das neue „Potenzmittel“ auszuprobieren, erlegen, und wand sich nur wenige Minuten später in schweren Krämpfen am Boden seines Vorzimmers. Der Mann starb noch am selben Abend, eine durchgeführte Obduktion, verbunden mit einem toxikologischen Gutachten, brachte die Todesursache schnell zutage: Vergiftung durch Kaliumzyanid – besser bekannt unter dem Trivialnamen Zyankali. 1

Trotz intensivster Ermittlungen, endloser Verhöre und langwieriger Untersuchungen, blieben die Behörden den Beweis für Hofrichters Täterschaft schuldig. Ohne Zweifel, der verdächtige Offizier aus Linz hatte sich am 14. November in Wien aufgehalten, auch in der Nähe des Westbahnhofs. Doch Zeugen, die den Mann in unmittelbarer Umgebung des besagten Briefkastens gesehen haben wollten, ließen sich nicht finden. Gewiss, Adolf Hofrichter hatte entsprechende Oblatenkapseln in seiner Wohnung in Linz aufbewahrt, doch gab er zu Protokoll, damit seinen Hund „Troll“ entwurmt zu haben. Und tatsächlich: Als man dem armen „Troll“ im Behandlungszimmer eines Veterinärs zu Leibe rückte, fanden sich nicht nur Würmer, sondern auch die Rückstände des Entwurmungsmittels im Zuge der Untersuchung. Blieb also noch das graphologische Gutachten. Hofrichters Schrift wurde als jene auf dem Begleitschreiben identifiziert. Wer dieses Gutachten jedoch erstellt hatte, und unter welchen Voraussetzungen, war im Zuge der Verhandlung schon weit weniger leicht auszumachen, denn der gesamte Prozess, inklusive der vorangestellten, sich über Monate hinweg ziehenden Untersuchung, unterlag der österreichischen Militärgerichtsbarkeit. Anders als bei Strafsachen des Zivilrechts hatte sich die Militärgerichtsordnung in der Habsburgermonarchie weit weniger rasant weiterentwickelt, in Grundzügen orientierte sich das militärische Strafrecht auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch an der Halsgerichtsordnung Maria Theresias, wodurch Staatsanwalt, Richter und Verteidiger zu einer einzigen Person verschmolzen, und die gesamte Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt wurde. Auch Geschworene waren in der Militärgerichtsbarkeit nicht vorgesehen, zur Fällung des Urteilsspruchs wurden acht Militärangehörige herangezogen, welche über das Schicksal des Angeklagten in einfacher Mehrheit zu entscheiden hatten. Befanden fünf der acht Offiziere den Angeklagten für schuldig, konnte das Todesurteil verkündet werden.  

Einen wesentlichen Punkt im Zuge der Urteilsfindung nahm zudem das Geständnis ein. Gab es weder Zeugen noch Komplizen bei der Begehung einer Tat, sowie keinen eindeutigen Beweis, welcher für die Schuld des Angeklagten sprach, ruhte die Hauptlast der Urteilsfindung auf dem Geständnis. Konnte man den Angeklagten dazu bewegen, so war die Verhängung der Todesstrafe möglich. 

Adolf Hofrichter verbrachte Monate in Haft, während außerhalb der dicken Gefängnismauern ein Pressekrieg erbittert ausgefochten wurde. Bald schon stand nicht mehr der Angeklagte im Rampenlicht, vielmehr konzentrierte sich die Öffentlichkeit auf die veraltete Militärgerichtsordnung, symbolisiert durch Hauptmannauditor Jaroslav Kunz und seinen Stab. Der Ruf nach Reformen wurde täglich lauter, zudem unterstellte man der untersuchenden Militärbehörde Befangenheit und unzureichende Untersuchungsmethoden. Max Winter, einer der bekanntesten Wiener Journalisten seiner Zeit, wurde wegen einer unbotmäßigen Publikation zu dem Fall schließlich selbst zu einer Geldstrafe verurteilt. Als Hofrichter darüber hinaus tatsächlich ein Geständnis ablegte, nur um dieses knapp zwei Wochen später zu widerrufen, schien die allgemeine Verwirrung ihrem Höhepunkt entgegenzusteuern. Voreilig berichteten manche Zeitungen von der Verurteilung zur Todesstrafe des ehemaligen Oberleutnants, andere Blätter verkündeten lebenslang. In manchen Medien wurden noch Jahrzehnte später falsche Angaben zur Verurteilung Adolf Hofrichters publiziert, die auf dem Ausschluss der Öffentlichkeit und der aggressiven Berichterstattung fußten.2

Letztlich wurde Oberleutnant Adolf Hofrichter im Jahr 1910 neben der Kassation in einem auf Indizien basierenden Prozess zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Der Urteilsspruch spiegelte die komplizierte, rechtliche Situation in jenen Tagen wider, widerstrebend musste die Behörde das Fehlen eindeutiger Beweise, sowie eines Geständnisses zur Kenntnis nehmen. Hofrichters Freiheitsentzug von zwanzig Jahren lässt sich als eine rechtliche Kompromisslösung jener Tage interpretieren, die heikle Frage eine Rechtsreform wurde durch diesen berühmt gewordenen Kriminalfall jedoch nicht gelöst. Das stark veraltete Militärrecht in der kaiserlichen und königlichen Monarchie zu reformieren, scheiterte letztlich an dem dualistischen Prinzip Österreich-Ungarns. Ein gemeinsames Reformpaket in Bezug auf das militärische Recht konnte bis zum Ende der Doppelmonarchie nicht gefunden werden. 3

Adolf Hofrichter starb 1945, ohne nochmals in den Militärdienst aufgenommen worden zu sein, als freier Mann. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 gelangte Hofrichter, der seinen Familiennamen später in Richter umgeändert hatte, nach einigen Komplikationen letztlich in Freiheit.  

  • 1

    Vorarlberger Volksblatt, 1. Dezember 1909 .

  • 2

     Salzburger Wacht, 8. November 1918 .

  • 3

    Wiener Allgemeine Zeitung, 29. April 1910 .